
«2055 wird es elektrische Passagierflugzeuge geben»
Im Rahmen eines europäischen Forschungsprojekts hat die BFH ermittelt, dass es bis 2055 elektrische Passagierflugzeuge geben wird. Die dafür realistischste Antriebslösung ist eine Mischung aus Batterien und Brennstoffzellen.
An den weltweiten CO2-Emissionen hat der Luftverkehr derzeit einen Anteil von gut 3 Prozent. Das mag überraschend wenig sein. Aber der Luftverkehr nimmt nach wie vor stetig zu. Hinzu kommt, dass Flugzeuge weitere Komponenten emittieren, die das Klima negativ beeinflussen. Dazu gehören insbesondere Wasserdampf, Stickoxide, Schwefeldioxid und Russ. Genauso wie Autos sollen deshalb auch Flugzeuge mittel- bis langfristig elektrisch und damit umweltschonend betrieben werden. In der Schweiz gibt es derzeit gerade mal ein Flugzeug ohne Verbrennungsmotor, das eine Zulassung erhalten hat: Die Velis Electro ist klein und nur 600 Kilogramm schwer, aufgrund ihrer kurzen Flugdauer von maximal 50 Minuten wird sie in erster Linie als Schulungsflugzeug eingesetzt. Das Elektroflugzeug ist deutlich leiser als herkömmliche Flugzeugtypen und stösst keine Abgase aus – ist aber von der Grösse und dem Gewicht eines Passagierflugzeugs noch sehr weit entfernt.
50 Passagier*innen, 1000 Kilometer
Für umweltfreundlichere und leisere Flugzeuge setzt sich die Europäische Union (EU) seit Anfang der 2000er-Jahre ein. Und zwar im Rahmen der Programme Clean Sky 1 und Clean Sky 2. Dabei handelt es sich um eine Zusammenarbeit der Europäischen Kommission und der europäischen Luftfahrtindustrie, die gemeinsam entsprechende Forschungsprojekte koordinieren und finanzieren. Dazu gehört das auf gut zweieinhalb Jahre angelegte Projekt «Genesis», an dem auch die BFH beteiligt ist. «Genesis» steht für «gauging the environmental sustainability of electric and hybrid aircraft», also für das Prüfen der Auswirkungen von Elektro- und Hybridflugzeugen auf die Umwelt. Dr. Priscilla Caliandro und Bruno Lemoine vom Zentrum für Energiespeicherung der BFH arbeiten dabei mit den technischen Universitäten Dänemark, Neapel (IT), Erlangen (DE) und Delft (NL) zusammen. Im kommenden Herbst wird das Projekt abgeschlossen.
Die BFH-Forschenden untersuchten im Rahmen des Projekts mehrere alternative Antriebstechnologien. Dazu gehören Batterien, Brennstoffzellen und hybride Kombinationen davon. Der Name «Genesis» ist insofern ein bisschen verwirrend, als dass es dabei nicht nur um die Umweltverträglichkeit von Flugzeugantrieben geht. In einem ersten Schritt musste die Frage geklärt werden, mit welchen Antriebstechnologien ein Passagierflugzeug mit 50 Plätzen auf Strecken bis 1000 Kilometer technisch und ökonomisch überhaupt abheben kann. Erst danach konnte untersucht werden, wie es um deren Umweltverträglichkeit steht.
Der heute gängige fossile Flugzeugtreibstoff Kerosin ist ein farbloses, flüssiges Kohlenwasserstoffgemisch. Genau wie Benzin oder Diesel wird Kerosin aus Erdöl hergestellt, allerdings ist seine Produktion wesentlich günstiger. Kerosin verfügt vor allem über eine enorm hohe Energiedichte: Es braucht relativ wenig Kraftstoff für die nötige Energieleistung, was sich positiv auf das Gewicht auswirkt – je weniger, desto besser für die Flugeigenschaften. Heutige Batterien sind hingegen zu schwer für Passagierflugzeuge, zudem verlieren sie – im Unterschied zu flüssigem Treibstoff – während des Flugs und ihrer Entladung auch nicht an Gewicht. Wasserstoff wiederum kann wie Kerosin in Turbinen genutzt werden. Bei dessen Verbrennung entsteht kein CO2. Um einen noch besseren Wirkungsgrad zu erzielen, kann Wasserstoff auch in Brennstoffzellen in Strom umgewandelt und zum Antrieb von Elektromotoren genutzt werden. Allerdings sind solche Wasserstoffsysteme schwerer und müssen aufwendig gekühlt werden. Wasserstoff verfügt sowohl in verflüssigtem wie auch gasförmigem Zustand über ein grosses Volumen, was grosse und schwere Tanks erfordert. Zudem fehlt an Flughäfen derzeit die nötige Infrastruktur für Herstellung und Transport.
Mischung aus Batterien und Brennstoffzellen
Mithilfe einer umfassenden Marktanalyse untersuchten Forschende der Universität Neapel den aktuellen Stand der Technik bei den Antriebstechnologien. Darauf aufbauend erstellten die BFH-Forschenden Prognosen für die Entwicklung von Batterien und Brennstoffzellen – und zwar kurzfristig (2025–2035), mittelfristig (2035–2045) und langfristig (2050+). Das grösste Problem war dabei eine realistische Einschätzung, also weder eine zu euphorische noch eine zu pessimistische. Die Forschenden berücksichtigten dazu die aktuelle technologische Leistungsfähigkeit, historische Entwicklungstrends und die theoretischen Grenzen der Technologien. Sie kamen so zur Erkenntnis, dass es bis 2030 wohl noch keine vollelektrischen Passagierflugzeuge geben wird. Dafür verfügen die Batterien noch über eine zu wenig hohe Energiedichte. Möglich ist bis dahin hingegen eine Hybridlösung mit einer Batterie und einem Verbrennungsmotor, die bezüglich Effizienz und Emissionen bereits Verbesserungen bringen würde.
Bis 2055 dürfte es hingegen vollelektrische Passagierflugzeuge geben: Die dafür vielversprechendste Antriebslösung ist eine Mischung aus Batterien und Brennstoffzellen. Bis es so weit ist, sind allerdings noch zahlreiche Innovationen nötig. Bei den Batterien bedarf es einer Verbesserung der Leistungen auf elektrochemischer Ebene, insbesondere zur Steigerung von der Energiedichte. Zudem braucht es ein besseres Verständnis des Funktionsprinzips neuartiger Batterietypen, die Lithium-Ionen-Batterien ersetzen sollen. Dazu gehören Lithium-Schwefel- oder Lithium-Luft-Batterien. Für den Einsatz von Brennstoffzellen erwarten die Forschenden bis 2055 tiefere Kosten dank höheren Produktionsmengen. Die nötigen Speichertechnologien für flüssigen und gasförmigen Wasserstoff wird es bis dahin geben.
Bis zum Abschluss des Projekts im Herbst geht es nun darum, die Umweltauswirkungen der herkömmlichen Antriebstechnologien mit den elektrischen zu vergleichen. Dabei untersuchen die Forschenden immer den gesamten Lebenszyklus der einzelnen Produkte – also von der Ressourcengewinnung über die Herstellung und Nutzung bis zum Recycling und dem Ende der Lebensdauer. Es wird erwartet, dass die alternativen Antriebstechnologien besser abscheiden werden.
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