«Bei grundlegenden Entscheidungen muss der Mensch involviert sein»

Katharina Lindenberg vom Departement Architektur, Holz und Bau und Mascha Kurpicz-Briki vom Departement Technik und Informatik vertreten die technischen Departemente in einer interdisziplinären Gruppe der Berner Fachhochschule BFH, die das Thema humane digitale Transformation vorantreibt. Was ist darunter zu verstehen? Und warum ist es so wichtig? Ein Gespräch.

Frau Lindenberg und Frau Kurpicz-Briki, leben Sie ein digitales Leben?

Katharina Lindenberg: Ich geniesse es sehr, flexibel arbeiten zu können. Während ich auf mein Kind warte, das im Musikunterricht ist, kann ich zum Beispiel auf Moodle ein Coaching organisieren. Ansonsten leben wir im Familienalltag analog. Im meinem Berufsleben hat die Digitalisierung hingegen einen grossen Anteil. Als Architektin arbeite ich permanent mit parametrischen Tools.

Mascha Kurpicz-Briki: Ich lese digital und erledige viel Administratives online. Wenn ich dann eine Bedienung nicht intuitiv finde, nervt mich das. Es gibt Tools, die uns im Alltag helfen sollten, uns dann aber vielmehr verärgern – oder selbst mich als Informatikerin zur Verzweiflung bringen. Das passiert meistens dann, wenn der Mensch bei der Entwicklung der Technologie nicht im Zentrum gestanden hat.

Geht es bei der humanen digitalen Transformation genau darum, nämlich dass der Mensch jederzeit im Zentrum steht?

Kurpicz-Briki: Der Begriff umfasst alle Aspekte davon, wie wir die digitale Transformation gestalten möchten. Es geht also einerseits um technische Fragen, andererseits aber auch um menschliche und gesellschaftliche. Im Zentrum steht die Frage: Wie sollen Menschen und Maschinen in Zukunft zusammenarbeiten? Wir an der BFH verfolgen den Ansatz der Augmented Intelligence. Sie stellt den Menschen ins Zentrum, indem sie die künstliche Intelligenz (KI) mit dem menschlichen Urteilsvermögen verbindet. Maschinen unterstützen dabei den Menschen und bieten ihm verschiedene Entscheidungshilfen. Die effektive Entscheidung trifft dann aber meistens der Mensch.

Was können Menschen, was Maschinen nicht können?

Kurpicz-Briki: Menschen können reflektieren und verschiedenste äussere Umstände miteinbeziehen. Computer sind demgegenüber sehr gut darin, eine grosse Menge an Daten schnell zu verarbeiten. Sie können zum Beispiel relevante Informationen aus einer grossen Anzahl von Textseiten in ein paar Sekunden heraussuchen. Um diese Informationen zu interpretieren, braucht es aber nach wie vor den Menschen. Im übertragenen Sinn kann man sagen: Die Maschine hat ein sehr eingeschränktes Weltbild.

Im Rahmen der KI sollen Maschinen aber durchaus Entscheidungen für den Menschen treffen.

Kurpicz-Briki: Bis zu einem gewissen Ausmass kann es sinnvoll sein, wenn Maschinen Daten interpretieren können. Doch es geht auch um die Frage, was wir als Gesellschaft wollen und wie weit wir gehen wollen. Wenn es um grundlegende Entscheidungen geht, braucht es weiterhin einen Menschen, der involviert ist.

Lindenberg: Viele meiner Arbeiten als Architektin wurden automatisiert. Und dafür bin ich sehr dankbar. Ich spare dadurch viel Zeit. Dabei ist noch bedeutender, dass in meinem Arbeitsfeld eine Art «digital empowerment» stattfindet – also dass mir der Einsatz der Technologie und Automatisierung etwas ermöglicht, das analog nicht möglich war. Die digitale Fertigung in Holz zum Beispiel ermöglicht es uns, an handwerkliche Traditionen anzuknüpfen. Schnitzereien an Gebäudefassaden und metallfreie Verbindungen im Holzbau, die lange Zeit unbezahlbar waren, werden mithilfe der automatisierten, robotischen Fertigung wieder realisierbar.

Besteht die Gefahr, dass die digitale Transformation unmenschlich erfolgt?

Lindenberg: Wie Mascha gesagt hat, müssen wir uns als Gesellschaft mit den moralischen und philosophischen Fragen dieser Thematik auseinandersetzen. Da haben wir als Hochschule einen Bildungsauftrag. Es ist unsere Aufgabe, dass wir in allen Fachbereichen die digitale Kompetenz und die digitale Ethik unterrichten. Aufklärung zu betreiben, ist sehr wichtig, damit unsere Studierenden das erworbene Wissen in die Arbeitswelt und in den privaten Alltag hinaustragen.

Welche Rolle spielt die humane digitale Transformation in der Forschungstätigkeit der BFH?

Lindenberg: Dieses Themenfeld ist an der BFH neu. Die Tatsache, dass wir auf die Vielfalt verschiedener Departement der BFH zurückgreifen und dabei den menschlichen Aspekt bei der Digitalisierung in den Vordergrund stellen können, finde ich sehr bereichernd. Man muss über Dinge diskutieren, die nicht nur technischer Natur sind. Das ist wichtig und gut.

Kurpicz-Briki: Im Departement Technik und Informatik erforschen wir unter anderem diskriminierende Aspekte der KI. Diesbezüglich arbeiten wir im Rahmen eines Horizon Europe Projekt, wobei die BFH als technische Partnerin auftritt. Konkret geht es um den Einsatz von KI im Personalmanagement bei der Rekrutierung von Arbeitskräften. Dabei gehen wir zum Beispiel der Frage nach, ob gesellschaftliche Stereotype, etwa bezüglich des Alters, der Herkunft oder des Geschlechts, in solchen Technologien vorhanden sind und welche Auswirkungen das hat. Auch das Thema Augmented Intelligence ist in unserer Forschungstätigkeit wichtig. Wir untersuchen, wie die Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine in Zukunft aussehen kann. Anhand verschiedener Problemstellungen möchten wir herausfinden, wo und wie die KI die Menschen sinnvoll unterstützen und Probleme lösen kann.

SCAI – Swiss Center for Augmented Intelligence 

Unter dem Namen SCAI – Swiss Center for Augmented Intelligence soll ein nationales Kompetenzzentrum zur Entwicklung

und Implementierung der Augmented Intelligence entstehen. Die Forschung und Entwicklung im Bereich Künstliche Intelligenz fokussiert bisher mehrheitlich auf technische Aspekte. Sie zielt darauf ab, menschliche (Arbeits-)leistung nachzuahmen. Augmented intelligence verfolgt hingegen einen menschenzentrierten Ansatz. Der Ansatz beruht auf der Überzeugung, dass der digitale Wandel nicht nur im Dienst des Menschen zu stehen hat, sondern dass vielmehr der «Faktor Mensch» elementar für die Gestaltung der digitalen Zukunft ist.

Beteiligt sind Forschungseinrichtungen der Kantone Bern, Freiburg, Neuenburg, Solothurn und Wallis. Aus dem Kanton Bern

mit dabei sind die Berner Fachhochschule BFH und die Universität Bern.

Katharina Lindenberg
Professorin für Gestaltung und Digitale Prozesse, BFH
Dr. Mascha Kurpicz-Briki
Professorin für Data Engineering, BFH