
Das unternehmerische Denken mit auf den Weg geben
Frédéric Pichelin (Architektur, Holz und Bau), Susan Müller (Wirtschaft) und Stefan Grösser (Technik und Informatik) treiben das Thema «unternehmerische Hochschule» an der BFH voran. Warum bekennt sich die BFH zu Entrepreneurship? Was bringt es den Dozierenden und Studierenden? Und was dem Kanton Bern? Ein Gespräch.
Was macht einen oder eine Unternehmer*in zum Entrepreneur?
Susan Müller: Ein Entrepreneur orientiert sich stark am Neuen, an der Innovation – sei es an einer Produkt-, Dienstleitungs- oder sozialen Innovation. Entrepreneurship beinhaltet für mich auch das grundsätzliche Hinterfragen gewohnter Handlungsmuster. Das kann auch ausserhalb von Unternehmensgründungen stattfinden. Eine Entrepreneurin kann also etwa auch auf institutioneller Ebene etwas verändern.
Frédéric Pichelin: Ein Entrepreneur ist initiativ, geht neue Wege, hinterfragt klassische Denkweisen und ist in der Lage, Teams für seine Ideen zu begeistern.
Stefan Grösser: Unternehmer und Entrepreneure haben viele Gemeinsamkeiten. Auch ein Unternehmer muss innovativ sein. Der Entrepreneur sucht aber noch intensiver nach Angebotslücken, nach neuen Services oder Produkten. Deutlich unterscheiden sich beide vom Profil eines Managers, der ein Unternehmen tendenziell eher auf Kurzfristigkeit ausgerichtet verwaltet.
Warum bekennt sich die BFH zu unternehmerischem Handeln im Sinne von Entrepreneurship?
Grösser: Zunächst einmal entspricht es einem allgemeinen Trend. Es ist aber nicht so, dass jeder Studierende ein Entrepreneur werden soll, der sein eigenes Unternehmen gründet und nicht mehr in klassische Unternehmensstrukturen hineinpasst. Ein gewisses Mass an innovativem, unternehmerischem Denken sollten viele Studierende von der BFH mitnehmen. Unternehmen sind interessiert an Mitarbeitenden, die zum Beispiel auch die Kosten oder das Marketing im Blick haben. Allerdings müssen wir darauf achten, dass der technisch-fachliche Teil der Ausbildung nicht zu kurz kommt.
Müller: Jeder und jede soll sich in unternehmerischem Denken und Handeln ausprobieren können. Die tatsächliche Gründung von Unternehmen kann dann durch Studierende erfolgen, deren Interesse geweckt wurde und die bereits im Studium an eigenen Ideen arbeiten möchten. Wichtig ist, dass die BFH den Studierenden mit dem Gründen von Spin-offs die Chance bietet, sich früh unternehmerisch auszuprobieren – möglichst so, dass ein allfälliges Scheitern noch nicht so schmerzhaft ist.
Pichelin: Alle Mitarbeitenden der BFH sollten daran interessiert sein, Sachverhalte neu zu denken, neue Ansatzpunkte auszuprobieren und damit auch Systeme zu verändern. Das entspricht eigentlich dem Ansatz der Intrapreneurship, bei dem jeder Mitarbeitende ein kleiner Unternehmer innerhalb des Unternehmens ist. Diese Haltung färbt auch auf die Studierenden ab.
Wie schlägt sich dieser unternehmerische Ansatz bei der Forschung und Entwicklung nieder?
Müller: Dort wollen wir vor allem den Blick für das unternehmerische Potenzial von Forschungsergebnissen schärfen: Birgt eine neue Erkenntnis das Potenzial, wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Mehrwert zu schaffen, und wie können wir dies nützen? Dabei geht es nicht nur um klassische Produkte und Dienstleistungen. Es kann auch um soziale Innovationen gehen. So hat beispielsweise das Departement für Soziale Arbeit gemeinsam mit der Caritas ein Instrument zum Armutsmonitoring geschaffen, das im Kanton Bern getestet wurde. Die Verbreitung in andere Kantone ist nun eine unternehmerische Herausforderung. Solche Potenziale müssen wir vermehrt erkennen. Zudem wollen wir die Zusammenarbeit der Departemente stärken.
Grösser: Ja, genau, wir machen auch die unternehmerischen Erfahrungen einzelner Departemente der BFH sichtbar, damit andere davon lernen können. In der Forschung und Entwicklung haben einzelne Departemente schon viele Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit Unternehmen und Innosuisse gesammelt.
Wie lassen sich denn Forschungsergebnisse in Erfolg versprechende Geschäftsmodelle umsetzen?
Pichelin: Zuerst einmal geht es darum zu erkennen, welche Ideen und Projekte tatsächlich über ein wirtschaftliches Potenzial verfügen. Dann stellen sich folgende Fragen: In welcher Struktur soll das Spin-off ausgegliedert werden und wie finanziert es sich? Auch muss geklärt werden, ab wann die Patente an die Spin-offs übergehen. Die ETH zum Beispiel behält die Patente erstmal bei sich und verkauft sie erst später an die Spin-offs. Aus unserer Sicht ist das für Investoren nicht sehr attraktiv. Deshalb sind wir im Moment dazu übergegangen, die Patente gleich an die jungen Unternehmen zu übertragen. Die Spin-offs können in den Räumlichkeiten der BFH verbleiben. Nach zwei, drei Jahren sieht man dann, ob sie Geld verdienen und überleben können. Wir ziehen auch in Betracht, dass die Spin-offs mögliche Forschungspartner für die Zukunft sein können. Wir reagieren also nicht mehr nur auf etablierte Kundenbedürfnisse, sondern beeinflussen unseren eigenen Markt.
Müller: Das Problem vieler Start-ups ist der Markteintritt: Oft finden sie nicht früh genug die ersten Kunden, die das Produkt kaufen –, auch wenn dieses noch so gut ist. Da können wir als Hochschule sicher grosse Unterstützung leisten.
Pichelin: Ja, weil wir die Jungunternehmer nicht nur mit grossem technischem Know-how unterstützen, sondern die Produkte in Zusammenarbeit mit Unternehmen auch auf konkrete Kundenbedürfnisse abstimmen können.
Grösser: Ganz wichtig: Unsere Produkte sollen nicht bestehende konkurrenzieren, sondern neu und innovativ sein. Wie Frédéric Pichelin eben geschildert hat, ist die BFH sehr unternehmensfreundlich, was sich unter anderem an der frühen Abgabe von Patenten zeigt. Ob das der richtige Weg ist, ist derzeit noch Gegenstand von internen Diskussionen. Und es ist eine politische Frage, weil es ja um das Verwenden von staatlichen Geldern geht. Letztlich müssen wir die besten Rahmenbedingungen finden, damit sich möglichst viele Spin-offs erfolgreich am Markt behaupten und so Steuersubstrat für den Kanton Bern schaffen.
Was ist die Zielvorstellung für eine unternehmerische BFH?
Grösser: Dass in allen acht Departementen nach ihren Möglichkeiten vermehrt unternehmerisches Handeln und Denken gelebt wird – und zwar von Mitarbeitenden und Studierenden.
Müller: Wir wollen im gesellschaftlichen Transformationsprozess eine proaktive, gestalterische Rolle übernehmen. Wenn unsere Abgänger und Abgängerinnen diese Rolle als Gründerinnen, Nachfolger oder institutionelle Entrepreneure spielen können, haben wir unser Ziel erreicht.
Pichelin: Indem wir unseren Studierenden dieses unternehmerische Denken mit auf den Weg geben, befähigen wir sie dazu, sich proaktiv mit komplexen, gesellschaftsrelevanten Themen zu beschäftigen und eine positive Wirkung zu erzielen.