Datenmanagement für die Kreislaufwirtschaft in der Solarindustrie

CIRCUSOL ist ein Innovationsprojekt der Europäischen Union (EU) und zielt auf die Entwicklung zirkulärer Geschäftsmodelle für die Solarbranche ab. Ein Team der Berner Fachhochschule BFH entwickelt eine Datenbank, die den Informationsaustausch innerhalb der Solarbranche vereinfachen soll.

Zur Erreichung der Klimaziele ist der zunehmende Einsatz erneuerbarer Energien wie der PV-Technologie unbestritten. Dieser Wandel birgt die Frage, wie mit der stark ansteigenden Zahl ausrangierter PV-Module und Batterien umgegangen werden soll. Ein beachtlicher Teil der Produkte, die nach der ersten Nutzung in den Recyclingstrom gelangen, ist technisch gesehen noch nicht am Ende seines Lebens angelangt. Vielmehr kann er für eine erneute Vermarktung als Second-Life-Produkte aufbereitet oder repariert werden. Zirkuläre Geschäftsmodelle, die solche Second-Life-Verwendungen ermöglichen, sind nicht nur aus der Perspektive der Kreislaufwirtschaft, sondern auch hinsichtlich ihrer CO2-Bilanz dem Recycling vorzuziehen. Den involvierten Akteuren fehlt es für die Realisierung solch zirkulärer Geschäftsmodelle nicht etwa an Bereitschaft oder Innovationskraft, sondern an produktbezogenen Informationen, die innerhalb der Wertschöpfungskette nicht ausreichend ausgetauscht werden.

Oft liegen wenige bis keine Informationen über die Herkunft der eingesetzten Materialien, deren Zusammensetzung oder deren Umwelteinfluss vor, vor allem weil der Markt einer dynamischen Entwicklung unterliegt. Gelangen PV-Module und Batterien schliesslich zum Recyclingunternehmen, ist häufig nicht bekannt, ob die Produkte nur gebraucht, aber noch funktionsfähig, oder bereits defekt und nicht wieder herstellbar sind. Der zusätzliche Aufwand, der für eine gründliche Begutachtung der Produkte anfällt, steht momentan nicht in einem wirtschaftlichen Verhältnis zum Ertrag, der mit zirkulären Geschäftsmodellen für Second-Life-Produkte erarbeitet werden könnte.

Unterstützung zirkulärer Geschäftsmodelle dank digitaler Nachverfolgung

Der Fortschritt digitaler Technologien, für uns insbesondere der Digitale Zwilling (digital twin), treibt die umfassende Digitalisierung industrieller Produkte voran. Prozessabläufe werden nicht nur automatisiert, sondern ermöglichen die digitale Nachverfolgung von Produkten durch die eindeutige Zuordnung und Lokalisierung, zum Beispiel mithilfe von RFID-Chips oder Sensoren. Jeder Schritt im Lebenszyklus erzeugt dabei neue Daten, die zentral in einer Datenbank gespeichert, freigegeben und analysiert werden können. Digitale Technologien eröffnen Potenziale in der Entwicklung zirkulärer Geschäftsmodelle, unter anderem in der Solarindustrie, indem Produkte und alle darin enthaltenen Materialien direkt zu Beginn ihrer Wertschöpfungskette erfasst und danach weiterverfolgt werden.

Datenbank mit Zirkularitätspotenzial

Die Verknüpfung digitaler Technologien und deren Einsatz in innovativen Geschäftsmodellen setzen eine Datenbank voraus, welche die Eigenschaft hat, Daten aus verschiedenen Quellen zu speichern und zu verarbeiten. Eine solche Datenbank setzt die Vision um, dass möglichst viele Stakeholder der Wertschöpfungskette zukünftig die Möglichkeit haben, unter anderem PV-Module und Batterien auf einer digitalen Plattform wiederzufinden und Informationen über ihren physischen Zustand und ihr Zirkularitätspotenzial zu erhalten. Das Team des Fachbereichs Wirtschaftsingenieurwesen arbeitet an einem Prototyp zur Umsetzung dieser Idee.

Weg voller Herausforderungen

Der Weg dahin ist jedoch lang und voller Herausforderungen. Gerade Hersteller haben Zweifel am Schutz und an der Sicherheit ihrer Daten und pochen auf individualisierte Zugriffsberechtigungen für verschiedene Stakeholder. Essenziell hierbei ist es, das richtige Gleichgewicht zwischen den zur Verfügung gestellten Informationen und dem Schutz sensibler Unternehmensdaten zu finden.

Gleichzeitig hängt der Erfolg der Datenbank massgeblich von der Menge und Qualität der von den Herstellern zur Verfügung gestellten Informationen ab. Auch wenn die digitale Transformation stetig voranschreitet, ist der Zugang zu qualitativ hochwertigen Daten oftmals unzureichend. Hersteller haben häufig Schwierigkeiten, die benötigten Informationen von den vorgelagerten Lieferanten zu erhalten. Daneben gilt es, alle beteiligten Stakeholder im Ökosystem der Solarindustrie vom Mehrwert der Datenbank zu überzeugen und sie dazu zu bewegen, aktiv an deren Entwicklung mitzuwirken. Dies bedingt eine intuitive Bedienung, damit die Nutzung der Datenbank nicht bereits an ihrer Komplexität scheitert, und eine ausgeklügelte Datenanalyse, die das zirkuläre Potenzial von PV-Modulen und Batterien möglichst früh vorhersagen kann.

Ausserdem befindet sich die internationale Zusammenarbeit bei der Entwicklung von Vereinbarungen und Standards hinsichtlich des Informationsaustauschs entlang von Wertschöpfungsketten noch in einem zu frühen Stadium, als dass darauf zirkuläre Geschäftsmodelle aufgebaut werden könnten. Die Notwendigkeit eines regulatorischen Rahmens, der den Datentransfer vereinfacht und die Nutzung des vollen Potenzials der Daten ermöglicht, ist in dieser Hinsicht zentral, um den digitalen Wandel in der Kreislaufwirtschaft zu fördern. Die EU ist dabei in einer vielversprechenden Position, um den Übergang global anzuführen. Eine die gesamte Wertschöpfungskette umfassende Datenbank kann einen wertvollen Beitrag im Entwicklungsprozess eines regulatorischen Rahmens leisten. Wir im Team Wirtschaftsingenieurwesen der BFH sind innerhalb von CIRCUSOL an der Ausformulierung von politischen Folgerungen mitbeteiligt.

Nachhaltigere Wertschöpfungsketten als Ziel

Die Vorteile einer Datenbank sind offensichtlich: Das Ökosystem innerhalb der Solarindustrie profitiert von effizienteren und nachhaltigen Wertschöpfungsketten, die sich durch einen offenen Informationsfluss und eine engere Zusammenarbeit zwischen den Stakeholdern auszeichnen. Vor allem leistet die PV-Branche dadurch einen Beitrag zur Entwicklung eines nachhaltigeren Wirtschaftssystems. Die Erkenntnisse, die im Rahmen von CIRCUSOL gewonnen werden, lassen sich auf weitere Wirtschaftszweige mit zirkulärem Potenzial sowie regionale Ökosysteme übertragen. Nicht nur in der europäischen Solarindustrie besteht Potenzial für zirkuläre Geschäftsmodelle, die auf einer umfassenden Datenbank fussen. Wir arbeiten daran, unsere Erfahrungen in weiteren Forschungsprojekten und auf dem Schweizer Markt zu validieren.

Ässia Boukhatmi
Doktorandin, BFH
Roger Nyffenegger
Doktorand, BFH
Prof. Dr. Stefan Groesser
Leiter Fachbereich Wirtschaftsingenieurwesen, BFH