«Die Rolle der BFH in der Gesellschaft wird immer wichtiger»

Christine Beerli, ehemalige Berner Ständerätin und Direktorin der Hochschule für Technik und Informatik (HTI), und BFH-Rektor Sebastian Wörwag blicken auf «bewegte Anfangszeiten» der BFH zurück. Und beide sorgen sich um die wissenschaftliche Zukunft der Schweiz.

Frau Beerli, Sie übernahmen 1998 die Leitung der Hochschule für Technik und Informatik (HTI) unter dem Dach der neu geschaffenen BFH. Wie haben Sie diese Anfangszeit in Erinnerung?

Christine Beerli: Ich stammte nicht aus dem Bereich Technik und war auch noch die erste Frau in diesem Amt. Es war eine sehr bewegte Zeit der Neuorganisation, die erst mit der Schaffung der Departemente 2003 abgeschlossen war. Meine grosse Aufgabe war es, zwischen den drei etablierten technischen Schulen im Kanton Bern ein Wir-Gefühl zu schaffen. Vorher herrschte unter ihnen eine starke Konkurrenzsituation. Ich musste also langsam ein Vertrauensverhältnis aufbauen, so dass sich keiner der Standorte benachteiligt fühlte.

Ist Ihnen das gelungen?

Beerli: Ja, ich glaube mit der Zeit schon. Als ich 2008 die BFH verliess, verstand sich die aus   «Burgdorfern, Bernern und Bielern»  zusammengesetzte Geschäftsleitung klar als Interessenvertreterin des Departementes und nicht der Standorte. Einstimmig kamen wir auch zum Schluss, in einem Brief an den Fachhochschulrat der BFH die Schaffung eines zentralen Campus anzuregen – unabhängig davon, ob in Biel oder Burgdorf. Um so trauriger stimmt es mich natürlich, dass der Campus immer noch nicht steht.

Das dürfte Sie auch schmerzen, Herr Wörwag?

Sebastian Wörwag: Ja, absolut. Er würde der BFH eine wichtige Sichtbarkeit verleihen, gerade auch gegenüber anderen Fachhochschulen. Gleichzeitig vereint ein solcher Campus verschiedene Departemente, schafft somit Synergien und stärkt die Zusammenarbeit. Und nicht zuletzt: Ohne Campus wird es schwierig, unser Ziel einer klimaneutralen Hochschule bis 2030 zu erreichen.

Dafür befinden wir uns hier im Switzerland Innovation Park (SIP) am Bieler Bahnhof. Steht er sinnbildlich für eine der grössten Errungenschaften der BFH, indem er Forschung, Bildung und Wirtschaft vereint?

Wörwag: Ja. Fachhochschulen sind das Bindeglied zwischen Wissenschaft und Praxis – sei es mit anwendungsorientierter Forschung oder praxisbezogener Lehre. Wissenschaftliche Erkenntnisse werden in der Praxis übernommen, praktische Fragestellungen werden wiederum erforscht. Und das alles passiert sehr schnell: Fachhochschulen sind somit wichtige Impulsgeber für immer schneller verlaufende gesellschaftliche Veränderungen. Gleichzeitig wurde die Schweizer Berufsbildung gestärkt: Mit der Berufsmaturität eröffnen sich Lernenden an den Fachhochschulen hochqualifizierte Ausbildungsmöglichkeiten.

«Fachhochschulen sind eigentlich die Forschungslabore

der KMU.»

Christine Beerli

Beerli: Fachhochschulen sind eigentlich die Forschungslabore der KMU. Schon in den Anfängen der HTI haben wir grossen Wert auf die angewandte Forschung und Entwicklung gelegt. Während meiner Zeit konnten wir die Drittmittel aus der Wirtschaft verdoppeln und haben damit insgesamt 100 Stellen finanziert. Auch die Stiftung für technologische Innovation (STI) wurde  damals geschaffen. In deren Rahmen unterstützt die BFH zusammen mit der Berner Kantonalbank Start-ups. Diese Entwicklung hat sich nach meinem Abgang nahtlos fortgesetzt.

 Gab es anfangs in der akademischen Welt grosse Vorbehalte gegenüber den Fachhochschulen?

Wörwag: Ja, anfänglich gab es schon auch Skepsis. Im Fachhochschulgesetz wurde festgelegt, dass die Ausbildungen an Universitäten und Fachhochschulen «gleichwertig aber andersartig» seien. Dieses Verständnis musste sich erst entwickeln, ist heute aber weitgehend etabliert. Inzwischen gibt es gute Kooperationen zwischen Universitäten und Fachhochulen, wie etwa in Bern im Bereich Biomedical und neu auch Precision Engineering.

Welches sind die grössten Herausforderungen der BFH in den nächsten zehn Jahren?

Wörwag: Die Rolle der Fachhochschulen in der Gesellschaft wird immer wichtiger. Als BFH wollen wir zur verantwortungsvollen Bewältigung gesellschaftlicher Veränderungsprozesse beitragen. In den Bereichen Digitale Mündigkeit, Nachhaltigkeit sowie Gesundheit erarbeiten wir über alle unsere Departemente hinweg Lösungsansätze. Wir versuchen, den Kanton Bern noch attraktiver zu machen, indem wir kantonale Zukunftsprojekte prägen, die für Wirtschaft und Gesellschaft wichtig sind. Bei gewissen Themen wollen wir zudem national die Themenführerschaft übernehmen. Unlängst haben wir etwa ein Zentrum zu Gesundheit und Design eröffnet, in dem wir zum Beispiel der Frage nachgehen, wie wir inskünftig Spitäler gestalten. Darüber hinaus bauen wir unsere internationalen Netzwerke aus, indem wir mit weiteren ausländischen Forschungsinstitutionen Kooperationen eingehen.

Droht die Schweiz nicht den Anschluss an internationale Forschungsprogramme zu verlieren?

Wörwag: Doch, leider. Wissen, Forschung und Bildung machen an Landesgrenzen nicht Halt. Wie wichtig sie für den internationalen Zusammenhalt sein können, sieht man an der aktuellen geopolitischen Lage sehr deutlich. Umso bedauerlicher ist es, dass die Schweiz derzeit von internationalen Forschungsprogrammen ausgeschlossen ist. Das muss korrigiert werden. Aber das ist eine politische Frage.

Beerli: Das sehe ich genauso. Die Abtrennung der Schweiz von der europäischen Forschung ist sehr schlimm. Finden wir den Anschluss nicht mehr, steigen wir in die 2. Liga ab, um es im Fussballjargon auszudrücken. Dieser Qualitätsverlust trifft Universitäten und Fachhochschulen gleichermassen. Im Fall der Fachhochschulen hätte er schmerzhafte gesellschaftliche Folgen: Denn gerade weil sie Berufsleuten den Weg zu einem Hochschulabschluss aufzeigen, schaffen Fachhochschulen eine breite Bildungsbasis und tragen viel zur Attraktivität der Berufslehre bei.