
Digitalisierte Energielösungen für E-Mobilität und Gebäude
Die Schweizer Digitaltage finden 2020 erstmals über drei Tage statt. Die Berner Fachhochschule BFH zeigt am 3. November gemeinsam mit dem Switzerland Innovation Park Biel/Bienne in einer Ausstellung und in einem Face-to-Face-Meeting, wie sich die Digitalisierung auf Umwelt und Energie auswirkt.
Dr. Andrea Vezzini, Professor für Industrieelektronik, Leiter BFH-Zentrum Energiespeicherung
Dr. Mascha Kurpicz-Briki, Professorin für Data Engineering, BFH
Stefan Schori, Managing Co-Director BFH-Zentrum Energiespeicherung
Wie verändert die Digitalisierung den Energiebereich?
Andrea Vezzini: Die Digitalisierung ist wie in vielen Bereichen auch bei der Energieversorgung auf dem Vormarsch. Wir können Daten nicht nur kurzfristiger erfassen, sondern es lassen sich daraus auch zusätzliche Erkenntnisse ableiten und neue Geschäftsmodelle entwickeln.
Wenn wir den Zustand des Stromnetzes genauer kennen, kann man z.B. durch zeitnahe festgelegte Tarife das Verhalten der Kunden beeinflussen. Sobald sich eine Überlastung des Stromnetzes abzeichnet, lässt sich durch Tarifierung bewirken, dass intelligente Häuser gewisse Geräte abschalten.
Zudem können wir bei E-Mobilen – etwa bei Elektrovelos – Daten in den Batterien sammeln und aufbereiten. Daraus lassen sich interessante Kenntnisse über den Zustand der Batterien gewinnen.

Am Face-to-Face-Meeting wird unter anderem das Projekt «Big Data und Batterien von Elektrovelos» vorgestellt. Worum geht es da?
Mascha Kurpicz-Briki: Es handelt sich um eine Projektarbeit von zwei Bachelorstudenten des Studiengangs Informatik aus der Vertiefung Data Engineering. Sie arbeiten eng mit dem BFH-Zentrum Energiespeicherung und einem externen Partner zusammen. Das Industrieunternehmen stellt echte Datensätze von Elektrovelos, die im Einsatz waren, zur Verfügung. Jetzt geht es darum, eine Analyse dieser grossen Datenmengen (Big Data) auszuführen. In einem ersten Schritt haben die Studierenden die Daten aus der bestehenden Datenbank ausgelesen und in geeigneten Datenstrukturen für die Weiterverarbeitung bereitgestellt (Data Import und Data Cleaning). Anschliessend werden die Daten auf Muster untersucht, und diese sollen dann grafisch dargestellt werden.
Folgende Aussagen sind für die Firma von grossem Interesse: Wie werden die Batterien meist betrieben? Welchen Einfluss haben unterschiedliche Ladestrategien auf die Performance? Welche Bedingungen führen zu vorzeitiger Alterung? Wie verhalten sich die einzelnen Zellen der Batterie über die Lebensdauer?
In einem weiteren Schritt werden die Daten dann verwendet, um mithilfe von «Machine Learning» Modelle für die Batterien zu entwickeln, die es erlauben, präzise Aussagen über deren Zustand (Ladezustand, Lebensdauer) zu machen.
Ein weiteres Projekt beschäftigt sich mit der intelligenten Steuerung von Heimspeichern.
Stefan Schori: In diesem vom Bundesamt für Energie geförderten Projekt geht es um die sogenannte Netzdienlichkeit von Heimspeichern. Speicher werden so betrieben, dass sie sowohl die Einspeisespitzen (z. B. Fotovoltaikanlagen am Mittag) wie auch die Verbrauchsspitzen (z. B. Warmwassererzeugung und E-Mobilität) brechen und somit eine Überlastung bzw. einen Netzausbau verhindern.
Man geht davon aus, dass Hausbesitzer in Zukunft vermehrt Energiespeicher im Keller einbauen, da Batterien immer billiger werden. Ausserdem werden zunehmend E-Mobile zu Hause angeschlossen, die bei bidirektionalem Betrieb auch als Heimspeicher zu betrachten sind. Für Netzbetreiber stellt sich jetzt die Frage, wie solche Heimspeicher am besten betrieben werden können: optimal fürs Stromnetz, damit dieses nicht mit teuren Investitionen verstärkt und ausgebaut werden muss. Aber auch optimal für den Kunden. Er soll den Eigenverbrauch weiterhin bis zu einem bestimmten Punkt maximieren können. Zusätzlich soll er jedoch entschädigt werden, wenn er eine gewisse Kapazität bzw. Leistung seines Speichers «netzdienlich» zur Verfügung stellt, die der Netzbetreiber bei Bedarf nutzen kann.
Warum ist Netzdienlichkeit von Bedeutung?
Schori: Hintergrund ist, dass wir einen Wandel in der gesamten elektrischen Energieversorgung erleben. Bisher wurde elektrische Energie zentral produziert, dann verteilt und verbraucht. In Zukunft werden wir in Gebäuden vermehrt drei Elemente haben: Einspeisung z.B. in Form von Fotovoltaik, Verbrauch wie bisher und zusätzlichen Verbrauch etwa für Elektromobilität sowie Speicherung z.B. mit Batterien für Eigenverbrauch.
Die Koordination von Einspeisung, Verbrauch und Speicherung innerhalb des Hauses ist sehr wichtig. Man spricht in diesem Zusammenhang von Flexibilität, die in Gebäuden vorhanden ist. Man kann beispielsweise ein E-Mobil auch eine halbe Stunde später aufladen, wenn es die ganze Nacht dasteht. Oder wir können ein Warmwassersystem später – oder auch früher – aufwärmen. Das ergibt eine gewisse Flexibilität, um das Netz zu entlasten. Man reduziert den Stromfluss vom Haus ins Stromnetz und umgekehrt, wenn das Netz stark ausgelastet ist. Gleichzeitig stellt man aber sicher, dass der Kunde dadurch keinen Nachteil erleidet.
Die Prognose dieser dezentralen Stromflüsse ist für den Netzbetreiber allerdings sehr schwierig. Im Extremfall müsste das Netz so dimensioniert werden, dass die gesamte Energie, die von allen Häusern produziert wird, auf einen Schlag ins Netz fliessen kann, falls sie nicht in den Häusern verbraucht wird. Und wenn umgekehrt vermehrt Elektroautos im Betrieb sind, dann könnte der Netzbetreiber so gross dimensionierte Kupferkabel in den Boden verlegen, dass sämtliche Autos gleichzeitig aufgeladen werden könnten. Jedoch wäre eine solche Netzdimensionierung überhaupt nicht kosteneffizient. Denn erstens ist es unwahrscheinlich, dass alle Autos gleichzeitig aufgeladen werden. Und zweitens können intelligente Ladegeräte bei drohender Überlast die Ladeleistung reduzieren.
Die Steuerung von Geräten und Anlagen durch die verbauten Algorithmen kann zum einen in jedem Haus autonom stattfinden. Zum anderen ist auch eine Steuerung durch eine zentrale Stelle – sei dies beim Netzbetreiber oder bei sonst einem Dienstleister – denkbar.
Welche Aufgabe übernimmt dabei das BFH-Zentrum Energiespeicherung?
Schori: Wir sind jetzt daran, verschiedene Stromnetze durchzurechnen. Wir bilden in Computermodellen diese Stromnetze mit all ihren Kunden nach. Wir bilden den normalen Verbrauch in diesen Häusern ab, wir modellieren Fotovoltaikanlagen, Elektroautos und Heimspeicher. Für all diese Kunden müssen wir möglichst realitätsnahe Leistungsprofile in diesen Häusern erstellen. Wir kennen sie nicht, denn es gibt heute noch nicht überall Messungen. Smart Meter sind noch nicht überall eingebaut. Deshalb müssen wir die Profile alle schätzen, und zwar für heutige und zukünftige Situationen. Auf dieser Grundlage wollen wir Aussagen machen, wie man einen Batteriealgorithmus umsetzen muss, damit er für das Netz und den Kunden einen optimalen Nutzen hat.
Batteriespeicher werden damit in Zukunft ein wichtiger Baustein zur Integration von erneuerbaren Energien sein. Moderne Betriebsmodelle haben das Potenzial, das es braucht, damit Batteriespeicher zur Netzstabilität und zum Gelingen der Energiewende beitragen können.
Infos
- BFH-Zentrum Energiespeicherung: bfh.ch/energy