
Distance Learning – viele wertvolle Impulse
Am 13. März 2020 hat der Bundesrat den Präsenzunterricht an allen Schweizer Schulen und Hochschulen bis 4. April 2020 verboten. Mit der Ausrufung der ausserordentlichen Lage wurde am 16. März 2020 das Verbot des Präsenzunterrichts verlängert. Für die Hochschulen dauert der «Lockdown» praktisch bis Ende Semester. Was bedeutet das für die technischen Disziplinen an der Berner Fachhochschule?
Reto Frei, Leiter Fachbereich Holz BFH-AHB, Leiter Ressort Lehre BFH-AHB, Professor für Chemie
Roger Filliger, Stellvertretender Direktor BFH-TI, Leiter Lehre und Einsatzplanung BFH-TI, Professor für Mathematik
Wie haben Sie persönlich die ausserordentlichen Tage Mitte März erlebt?
Reto Frei: Ich schildere die Situation zunächst aus meiner Sicht als Leiter des Fachbereichs Holz. In den hektischen Tagen unmittelbar vor dem «Lockdown» haben wir in der Fachbereichsleitung sofort verschiedene Optionen für den Fernunterricht getestet und uns schnell für MS Teams entschieden. Es wurde für jedes aktuell unterrichtete Modul – beispielsweise Baustatik oder Werkstoffkunde – ein virtueller Schulungsraum eingerichtet, sodass wir am Dienstag, 17. März, den Unterricht flächendeckend synchron zum Stundenplan durchführen konnten.
Roger Filliger: Ich möchte mit einer persönlichen Betrachtung beginnen. Durch die ausserordentliche Lage wurde von einem Tag auf den andern Privates und Berufliches vermischt. Privat sieht es bei mir so aus: Mein Jüngster ist noch in der Primarschule eingestuft, der Ältere auf Sekundarstufe I. Meine Frau unterrichtet auf Sekundarstufe II und ich auf tertiärer Stufe. Wir haben also sämtliche Stufen unter einem Dach versammelt, jede mit ganz unterschiedlichen Regeln. Nach drei Wochen haben wir langsam zu einem neuen Rhythmus gefunden. Dennoch habe ich zwischendurch das Gefühl, in einem schlechten Science-Fiction-Film zu sein.
Am Departement Technik und Informatik konnten wir den Unterricht am Montag flächendeckend auf Distanz fortführen, auch wir mit MS Teams. Einige Fachbereichsleiter haben ihre Kolleginnen und Kollegen im Vorfeld richtiggehend auf Distance Learning getrimmt. So waren wir relativ gut vorbereitet, um gleich loszulegen. Die Lernkurve steigt nach wie vor auf beeindruckende Weise an.
Wie sind die Rückmeldungen von Dozierenden und Studierenden?
Filliger: Die ersten Rückmeldungen der Studierenden sind vorwiegend positiv. Der enorme Aufwand, den wir alle betreiben, wird wahrgenommen und geschätzt.
Allerdings müssen wir aufpassen, dass wir die Studierenden nicht mit Aufträgen überhäufen und damit überfordern. Der eigentliche Lackmustest erfolgt dann bei den Prüfungen am Ende des Semesters. Diese bereiten vielen Studierenden Sorgen, da die Situation völlig neu ist.
Frei: Auch wir erhalten viele positive Rückmeldungen von den Studierenden. Aber die Überlastung ist auch bei uns ein Thema.
In der ersten Woche ging es zunächst darum, ein funktionierendes System aufzubauen. In der zweiten Woche haben wir uns um mehr didaktische Abwechslung im Unterricht bemüht. Der nächste Schritt muss jetzt sein, das Ganze zu koordinieren, um die Studierenden nicht zu überfordern.
Auch die Dozierenden geben uns viele positive Feedbacks. Es herrscht derzeit eine ausgesprochen kooperative Atmosphäre, die wir im Fachbereich Holz weiterhin fördern wollen. Zurzeit halten wir jeden Freitagnachmittag ein Onlinemeeting, um neuste Erfahrungen untereinander auszutauschen. Tipps und Tricks halten wir zudem in einem Wiki fest.
Welches sind die wichtigsten Aussichten für den Rest des Semesters?
Filliger: Seit Anfang April gibt es an der BFH ein offizielles Corona-Reglement. Dieses schafft Rechtssicherheit für den Fall, dass der Präsenzunterricht bis Semesterende verboten bleibt. Es enthält unter anderem Aussagen darüber, was passiert, wenn ein Modul nicht bestanden wird. Auch ist deutlich festgehalten, dass wir bei den Kompetenzanforderungen keine Abstriche machen wollen. Entscheidend ist, dass bei den Prüfungen das Prinzip der Rechtsgleichheit gewahrt bleibt.
Frei: Das Reglement ist aus meiner Sicht ein gelungener Balanceakt. Wesentliche Punkte sind klar festgelegt, aber bei der Umsetzung haben wir Spielraum. Gerade die Tatsache, dass ein ungenügender Kompetenznachweis nicht unbedingt an die Anzahl möglicher Modulwiederholungen angerechnet wird, hat die Nerven vieler Studierender beruhigt.
Erleben wir derzeit ein «verlorenes Semester»? Oder eröffnen sich auch neue Chancen für die Zukunft?
Frei: Wir tun sicher alles Mögliche, damit es kein verlorenes Semester ist. Dies gilt insbesondere für Studierende im letzten Semester. Sie sollen ein vollwertiges Diplom ohne Wenn und Aber erhalten. Aber auch die Studierenden in den tieferen Semestern werden sich die erforderlichen Kernkompetenzen erarbeiten können. Davon bin ich überzeugt.
Ich sehe es durchaus auch als Chance, dass wir aus unseren Gewohnheiten herausgerissen wurden. So hoffe ich sehr, dass wir als Institution etwas von der Experimentierfreude aus dem Corona-Semester erhalten können. Dass wir uns ab und zu weit aus dem Fenster lehnen, auch wenn ein gewisses Risiko damit verbunden ist.
Filliger: Auch für mich ist es auf keinen Fall ein verlorenes Semester.
Im Gegenteil, wir erhalten als Organisation auf allen Stufen enorm viele neue Impulse, auch in der Administration. In Bezug auf die Lehre ist klar, dass wir den Präsenzunterricht nicht 1:1 ersetzen können. Wir wollen keine Fernhochschule aufbauen. Doch können wir in Zukunft vermehrt Lerneinheiten digital und somit unabhängig von Zeit und Ort anbieten. Die Türe ist jetzt weit aufgestossen worden, um kontrolliert in diese Richtung weiterzugehen.
Besonders gespannt bin ich auf alles, was mit E-Assessment und Kompetenznachweisen auf Distanz zu tun hat. Hier werden wir in diesem Semester sicher noch wertvolle Erfahrungen sammeln.
Möchten Sie etwas ergänzen?
Filliger: Ich bedanke mich ganz herzlich bei den Dozierenden, dass sie ihr Bestes geben. Der Dank geht aber auch an die Studierenden, die verstehen, dass die Situation schwierig ist und diese mittragen.
Frei: Ich kann dieses Statement nur doppelt unterstreichen. Ich möchte mich zusätzlich bei der Administration, beim Hochschuldidaktik-Team und beim IT-Support bedanken. Die Unterstützung war und ist fantastisch.
