«Eine attraktive Hochschule schenkt viel Freiraum und Vertrauen»

Dr. Lukas Rohr, Direktor des Departements Technik und Informatik, verlässt nach 14 erfolgreichen Jahren die Berner Fachhochschule BFH, um zu neuen Ufern aufzubrechen. Im Interview gibt er Auskunft über seine Beweggründe, Erfahrungen und Pläne.

Herr Rohr, Ihr vorzeitiger Abschied von der BFH hat viele überrascht. Warum erfolgt er gerade jetzt?

Es gibt einen Push- und einen Pull-Anteil. Ich beginne mit der Push-Seite: Das Departement Technik und Informatik ist derzeit in einer ausgezeichneten Ausgangslage. Ich konnte einen grossen Generationenwechsel bei den Fachbereichsleitern und vielen Dozierenden umsetzen. Jetzt ist eine jüngere, sehr gute Crew am Ruder, die diese Schule nun in eine neue Zeit führen und neue Akzente setzen soll.

Wir sind in der Forschung überragend, und auch in der Lehre sind wir auf sehr guten Wegen. Ein bezeichnendes Beispiel dafür: In den letzten sechs Jahren gewannen wir viermal den Siemens Excellence Award, was zeigt, dass das TI herausragende Studierende hervorbringt.

Als negativer Punkt sind hingegen die Verzögerungen beim Campus Biel/Bienne zu erwähnen. Ursprünglich sollte der Campus 2019 bezogen werden, dann wurde es immer später. Das ist auf die Dauer zermürbend, wurde doch vieles in Arbeitsgruppen von zahlreichen Teilnehmenden schon erarbeitet. Inzwischen sind die meisten davon bereits pensioniert. Wahrscheinlich gehe ich als einer der letzten dieser Generation von Bord.

Welches sind Ihre wichtigsten Erfahrungen während der letzten 14 Jahre?

Das Grossartigste waren immer unsere Studierenden. So denke ich mit Freude an all die Diplomfeiern zurück, bei denen ich nahezu 5000 mit Stolz erfüllten Absolventinnen und Absolventen das Diplom überreichen durfte. Hinzu kommen noch etwa 1500 Weiterbildungsabschlüsse. All diese Fachkräfte sind in der Wirtschaft sehr gefragt.

Dabei hat sich immer wieder gezeigt: Ein Ingenieurstudium bedingt insbesondere kritisches Denken und gute Analysefähigkeiten. Dies erfordert einen entsprechend anspruchsvollen Mathematik- und Physikunterricht, was heute leider viele verkennen und der immer häufiger anderen Fächern zum Opfer fällt.

Auch der Austausch mit den Dozierenden war immer sehr inspirierend. Jeder und jede ist eine interessante Persönlichkeit, auch mit Ecken und Kanten. Die Hochschule ist ein sehr anregendes People Business. Ich bin überzeugt: Eine attraktive Hochschule schenkt den Dozierenden und Forschenden viel Freiraum und Vertrauen, damit sich ihre intrinsische Motivation in Innovation und Begeisterung umsetzen lässt. Darin sehe ich ein Schlüsselelement für den Erfolg der letzten 15 Jahre. Eine niedrige Personalfluktuation und immer wieder hervorragende Bewerbungen in einem ausgetrockneten Umfeld sprechen hier für sich.

Weiter möchte ich die gute Zusammenarbeit mit der Universität Bern hervorheben. Dies gilt insbesondere für den Master of Science in Biomedical Engineering, den wir gemeinsam mit der Uni BE anbieten. Eine solche Zusammenarbeit ist in der Schweiz einzigartig.

Äusserst bereichernd war auch der Austausch mit den anderen Fachhochschulen im Rahmen des Master of Science in Engineering, bei dem alle Schweizer Fachhochschulen kooperieren. Das ist zwar nicht immer einfach, aber die Diskussionen verliefen jeweils sehr zielführend. Hier zeigt sich einmal mehr der Wert des analytischen Denkens: lösungs-, nicht problemorientiert.

Worauf sind Sie besonders stolz?

Dass wir in der Forschung einen extremen Schritt vorwärts gemacht haben. Zu Beginn meiner Tätigkeit gab es gefühlt 200 Forschungsschwerpunkte, weil viele Dozierende ihre «Hobbys» pflegten. Heute ist die Forschung auf zehn Institute konzentriert. Besonders stark sind wir in den Bereichen Cyber Security, Energietechnik, Medizintechnik und Rehabilitation. Auch entstehen fast alle Bachelorarbeiten in Zusammenarbeit mit der Industrie.

Zudem haben wir das Forschungsvolumen sowohl quantitativ als auch qualitativ um ein Vielfaches vorangebracht. Vor 15 Jahren beliefen sich die Drittmittelakquisitionen auf etwa 2 bis 3 Millionen Franken pro Jahr. 2021 waren es 15 Millionen! Wir haben in den letzten 14 Jahren insgesamt etwa 150 Millionen Franken Drittmittel akquiriert, und ungefähr gleichviel wurde in der Industrie umgesetzt. Das waren um die 1000 Projekte, darunter mehrere EU-Projekte. Viele davon hatten in der Industrie eine konkrete positive Auswirkung.

Die Nähe zur Wirtschaft fördert auch das unternehmerische Denken. So gingen in den letzten 15 Jahren etwa 25 Start-ups aus unserem Departement hervor.

Wichtig ist auch: Wir sind die einzige Fachhochschule, die eng mit einem Schweizerischen Innovationspark zusammenarbeitet. Wir haben diese Chance wahrgenommen und haben mitgeholfen, dass dieser in Biel überhaupt entstehen konnte. Das hat funktioniert, weil wir immer eng mit der Industrie zusammengearbeitet haben. Das ist eine grosse Chance und ein wichtiges Asset für die Zukunft.

Gibt es bestimmte Begegnungen, die Sie nachhaltig beeindruckt haben?

Ich bin vielen spannenden Menschen begegnet. Aber jemand, der mich stark beeindruckt hat, ist Dr. Ibrahim Muhammad, der Bruder des Nobelpreisträgers für Mikrokredite Yusuf Muhammad. Ein äusserst wacher Mensch, der sich bei einem Besuch mit einer unglaublichen Motivation für ein «Mass Education of School Dropouts»-Projekt in Bangladesh engagiert hat. Ein ungewöhnlich aufregendes Projekt, das in riesigen Klassen vermittelt, wie die Schwächsten der Gesellschaft das Leben meistern können, indem sie zum Beispiel mit einer App auf einem Markt Strom verkaufen.

Es gab sicher auch spezielle Herausforderungen, mit denen Sie zu kämpfen hatten.

Eine Hauptherausforderung war und ist für mich die zunehmende Zentralisierung der BFH mit einer für mich unverständlichen und massiven Kostensteigerung für Rektorat und Services. Teilweise absurde mechanistische Kontrollprozesse stehen im Spannungsfeld meiner Überzeugung, dass der Erfolg einer Hochschule auf der intrinsischen Motivation durch Freiräume und Vertrauen basiert.

Wie sehen Ihre Pläne für die kommende Zeit aus?

Damit komme ich zur Pull-Seite: Ich bin vor Kurzem 60 geworden und hatte den Wunsch, noch etwas zu bewegen, etwas anzupacken, das mir viel Freude bereitet. Da stehen drei Dinge im Vordergrund: Seit mindestens 40 Jahren habe ich den Traum, einmal um die Welt – oder doch zumindest bis nach Japan – zu segeln. Ich habe ein älteres, aber passendes Schiff gekauft und werde in den nächsten Jahren in Etappen nach Japan unterwegs sein. Zudem werde ich mich sicher auch in einem Verwaltungsrat engagieren, da stecke ich mitten in den Verhandlungen. Und möglicherweise werde ich mich an einer Energiefirma beteiligen, habe ich doch in den vergangenen Jahren mit Smart-Home-Technologien selbst viel Erfahrungen gesammelt.

Vielen Dank für das Gespräch und alles Gute für die Zukunft!

Prof. Dr. Lukas Rohr
Direktor des Departements Technik und Informatik, BFH (bis 31. März 2022)