Erdbebeningenieurwesen im Holzbau

Pandemien, Strommangellage und Erdbeben sind für unser Land die grössten Risiken. Die wirksamste Präventionsmassnahme gegen Erdbeben ist das erdbebensichere Bauen. Eine Forschungsgruppe der BFH ist bestrebt, die Umsetzung der Erdbebenschutzmassnahmen beim Bau von Holzgebäuden effizienter zu machen. Nachfolgend werden zwei der Themen vorgestellt, an denen die Forschungsgruppe in enger Zusammenarbeit mit der Holzbaubranche sowie im Austausch mit der Lehre und der Weiterbildung arbeitet.

Dynamische Eigenschaften unterschiedlicher Holzbauweisen

Die seismischen Kräfte, für die Bauwerke bemessen sind, hängen von ihrer dynamischen Antwort ab. Liegt die (natürliche) Eigenfrequenz eines Gebäudes im Frequenzbereich des Erdbebens, hat dies eine dynamische Verstärkung zur Folge. In diesem Fall sind deutlich höhere Erdbebenkräfte zu berücksichtigen. Die Ermittlung des dynamischen Verhaltens von Holzbauwerken ist jedoch nicht einfach, und die Ergebnisse können abhängig von der verwendeten Berechnungsmethode stark variieren. Um diese Situation zu verbessern und den Ingenieur*innen die für eine zuverlässige Einschätzung der dynamischen Antwort notwendigen Angaben zu liefern, wurden experimentelle Untersuchungen an drei unterschiedlichen Holzbauweisen durchgeführt: Holzrahmenbau, Brettsperrholz (CLT, Cross Laminated Timber) und Blockbau (siehe Abbildung 1).

Diese Bauwerke wurden einer Reihe von statischen und dynamischen Tests unterzogen, darunter auch Ausschwingversuche mit Kräften, die über die nach Normen vorgesehenen Bemessungswerte hinausgingen. Die Versuchsergebnisse wurden anschliessend mit denjenigen der unterschiedlichen Berechnungsmodelle verglichen, was eine Kalibrierung Letzterer ermöglichte. Die Ingenieur*innen können nun das dynamische Verhalten dieser Holzbauweisen zuverlässig bestimmen, was auch eine Optimierung der Gebäude und ihrer Kosten ermöglicht.

Duktilität von Holzverbindungen und -tragwerken

Die Erdbebenbemessung von Holzbauwerken kann auf zwei unterschiedliche Arten erfolgen: a) auf konventionelle Art wie für alle anderen Einwirkungen (Nutzlast, Wind, Schnee, usw.); b) unter Berücksichtigung der Tatsache, dass im Spezialfall Erdbeben, Duktilität Tragwiderstand entspricht. Die Duktilität ist die Fähigkeit einer Verbindung oder eines Bauwerks, sich im plastischen Bereich zu verformen, ohne dass der Tragwiderstand wesentlich abnimmt. So kann ein duktiles Bauwerk gewissermassen «unterbemessen» werden, da der reduzierte Widerstand durch das Verformungsvermögen des Bauwerks kompensiert wird. Dieser duktile Ansatz soll zu einer Senkung der Kosten für ein Bauwerk bei gleichzeitiger Verbesserung seiner Robustheit führen. Ohne besondere Massnahmen ist die Duktilität konventioneller Verbindungen jedoch zu gering, um eine wirtschaftliche Umsetzung der Bemessung nach dem duktilen Tragwerksverhalten zu ermöglichen.

Das  Diagramm in Abbildung 2 a zeigt das zyklische Tragverhalten einer konventionelle Stabdübelverbindung mit sehr geringer Duktilität. Umfassende Testserien wurden durchgeführt, mit dem Ziel, diese Eigenschaft signifikant zu verbessern. Im Rahmen dieser konnten sieben Kernpunkte identifiziert werden. Die ersten drei betreffen die Holzbauteile, die umschnürt werden müssen, damit jede Art von sprödem Versagen ausgeschlossen werden kann. Die nächsten drei betreffen die Stahlqualität der eingesetzten Verbindungsmittel. Dieser Punkt wird in den aktuell gültigen Normen komplett ausser Acht gelassen. Der letzte Punkt ist das Aufeinanderabstimmen von Holz und Metall, wodurch sichergestellt werden kann, dass der geplante plastische Mechanismus auch tatsächlich auftritt. 

Das  Diagramm in Abbildung 2 b zeigt das Verhalten einer optimierten Verbindung unter Berücksichtigung der oben erwähnten sieben Kernpunkte. Diese Verbindung bietet einen viermal höheren Duktilitätsmass als eine konventionelle Verbindung mit einer hohen Energiedissipation.

Als schweizerisches Kompetenzzentrum Holz führt die BFH die Projekte in enger Zusammenarbeit mit der Holzbaubranche durch. Bisweilen beteiligen sich über 20 Partner aus der ganzen Schweiz und dem Ausland an einem Projekt. In anderen Fällen wird die Partnerschaft direkt mit den Dachverbänden abgeschlossen.

«Die Forschungsergebnisse fliessen direkt in den Erdbebeningenieurwesen-Vorlesungen im Bachelor Holztechnik und im Master Wood Technology sowie in verschiedene Weiterbildungen ein.»

Martin Geiser

Die Forschungsergebnisse fliessen direkt in den Erdbebeningenieurwesen-Vorlesungen im Bachelor Holztechnik und im Master Wood Technology sowie in verschiedene Weiterbildungen ein. Umgekehrt erstellen unsere Studierenden Semester-, Projekt-, Bachelor- und Masterarbeiten mit einem direkten Zusammenhang mit den Forschungsprojekten. Dieser Ansatz ist gleichzeitig motivierend und befriedigend, da die Studierenden so aktiv den Stand der Technik voranbringen können. Nach Abschluss ihres Studiums verbreiten die Absolvierenden ihr neu erworbenes Wissen wirksam in der Praxis, was unserer Branche entsprechende Fortschritte ermöglicht.

Die Forschungsgruppe Erdbebeningenieurwesen im Holzbau der BFH beteiligt sich auch aktiv an der Entwicklung und Verbesserung von technischen Richtlinien auf schweizerischer und europäischer Ebene. Aktuell arbeitet sie an der Revision eines Referenzdokuments in diesem Bereich.

Martin Geiser
Professor für Erdbebeningenieurwesen, Leiter Institut für Holzbau, Tragwerke und Architektur IHTA, BFH