«Es geht nicht um eine Kuschelatmosphäre»

Ina Goller ist Professorin für Innovationsmanagement an der BFH. Gemeinsam mit ihren Teamkolleginnen und -kollegen hat sie ein Trainingsprogramm entwickelt, um die psychologische Sicherheit in Teams zu steigern. Dabei geht es darum, mutig zu sein, eigene Bedenken zu äussern und sich trotzdem wertgeschätzt zu fühlen.

Frau Goller, welche Eigenschaften schätzen Sie an Ihren Mitmenschen besonders?

Ich mag es, wenn Menschen sich trauen, auf andere zuzugehen. Einige lehnen den Small Talk ab. Ich finde ihn sehr wertvoll, um in Gesprächen das Eis zu brechen. Weiter ist es für mich eine Qualität, wenn Menschen sachlich diskutieren können, ohne abschätzig zu werden. Wenn sie bereit sind, ihren Standpunkt darzulegen und zuzuhören, um gemeinsam eine Lösung zu finden.

Wie kommunizieren Sie in Ihrem Team miteinander?

Unsere Kommunikation ist stark von meiner Forschung zur psychologischen Sicherheit in Teams beeinflusst. Bei uns gilt: Jede Person muss sich während eines Teammeetings beteiligen. Wenn Mitarbeitende glauben, sie haben nichts zu sagen, möchten wir trotzdem ihre Meinung hören. Auch wenn das nur 30 Sekunden dauert – oft ergeben sich daraus neue Sichtweisen, die wertvoll sind. Im Team ist es auch wichtig, gemeinsam zu lernen. Dazu müssen bei uns alle über ihre Schwächen und Fehler sprechen können.

Sie sind Professorin für Innovationsmanagement: Was hat psychologische Sicherheit mit Innovation zu tun?

Bei psychologischer Sicherheit geht es im Wesentlichen um das Wissen, nicht bestraft oder gedemütigt zu werden, wenn man sich mit Fragen, Kommentaren, Bedenken oder Fehlern zu Wort meldet. Wenn Personen gemeinsam etwas Neues erschaffen wollen, müssen sie ihre vielleicht lächerlich wirkende Idee äussern können. Sie müssen sagen können: «Das verstehe ich nicht, erkläre es mir noch einmal» – ohne sich weniger wert zu fühlen. Neben der Innovationsfähigkeit steigt in solchen Teams auch die Produktivität. Das haben wir im Rahmen eines Innosuisse-Projekts erforscht.

Worum ging es dabei?

Wir entwickelten gemeinsam mit der ZHAW und Partnerinnen und Partnern aus der Wirtschaft ein Trainingsprogramm, um die psychologische Sicherheit in Teams zu steigern. Über 50 Teams aus sieben verschiedenen Firmen testeten das Programm während 24 Wochen in der Praxis. Sie erhielten kurze Übungen, die sie eigenständig durchführten, um Verhaltensweisen zu trainieren, die zur psychologischen Sicherheit beitragen. Die Datenauswertung ist noch nicht abgeschlossen, deshalb kann ich keine Details nennen. Doch was wir jetzt schon wissen: Psychologische Sicherheit ist der Mittler für Innovation und Produktivität.

Können Sie ein paar Übungen nennen?

Eine Übung, um etwa auf Sprachmuster zu achten, heisst «ja und». Es geht darum, in Gesprächen «ja und» zu verwenden und nicht «ja, aber» zu sagen. Wenn wir beim Gegenüber «aber» hören, denken wir an einen Widerstand. Wir hören keine Gemeinsamkeit. Das führt dazu, dass sich bei uns die Nackenhaare aufstellen und wir in den Widerstand gehen beziehungsweise widersprechen. Solche Kommunikationsmuster können trainiert werden, indem Teammitglieder sagen: Ja, damit bin ich einverstanden und dazu habe ich noch eine Ergänzung und einen Sonderwunsch. Das Wort «und» ändert nichts an meiner Aussage, aber es verändert etwas in der Kommunikation. Die Teammitglieder, die diese Übung machen, beschreiben, dass sie flüssiger miteinander diskutieren. Eine weitere Übung ist zum Beispiel die «Wertschätzungsdusche».

Das klingt vielversprechend.

Diese Übung empfehle ich jedem Team. Es geht darum, jedem Teammitglied zu sagen, was ich an ihm oder ihr schätze. Das fühlt sich tatsächlich an wie eine warme Dusche. Psychologische Sicherheit hat aber nichts mit einer Kuschelatmosphäre zu tun, sondern wir wollen erreichen, dass Kolleginnen und Kollegen gut und gerne miteinander diskutieren. Das bedeutet nicht, dass sich alle immer einig sein müssen. Im Gegenteil. Doch für viele Menschen ist es eine Mutprobe, die eigenen Bedenken auszudrücken und Risiken anzusprechen.

Gibt es dafür Beispiele?

In Krankenhäusern wird viel zu psychologischer Sicherheit geforscht. In einem Operationssaal herrscht ein hierarchiebetontes Arbeitsklima, was normalerweise zu einer geringen psychologischen Sicherheit führt. In einem solchen Umfeld sprechen Mitarbeitende Risiken seltener an. Es gibt Beispiele von Operationen, bei denen Menschen ein linker Zeh statt die Mandeln entfernt wurde.

Wie ist so etwas möglich?

Jemand sieht zwar, dass etwas falsch läuft, aber die Person hat so viel Respekt vor der Chefärztin oder dem Chefarzt, dass sie nichts sagt. Vielleicht aus Angst, die Stelle zu verlieren oder sich lächerlich zu machen. Mittlerweile gibt es in vielen Spitälern Trainings, in denen Mitarbeitende psychologische Sicherheit in simulierten Operationen üben. Dasselbe gilt in der Luftfahrt. Lufthansa und Swiss bieten Trainings an, um die Konversation zwischen der Pilotin und dem Co-Piloten zu verbessern.

Was wünschen Sie sich für die Arbeitswelt der Zukunft?

Wir wissen, dass psychologische Sicherheit gut für Teams ist. Ich wünsche mir mehr Mut, dieses Konzept auszuprobieren. Alle können psychologische Sicherheit lernen, niemand ist zu jung oder zu alt dafür. Um Verhaltensmuster anzupassen, braucht es lediglich Zeit und regelmässige Übung.

Dr. Ina Goller
Professorin für Innovationsmanagement, Leiterin Studiengang EMBA Innovation & Business Creation, BFH