
Globale Lieferketten als Risiko für Schweizer Unternehmen
Störungen in den Lieferketten erschweren die Geschäftstätigkeit vieler Firmen. Die BFH unterstützt Schweizer Unternehmen dabei, ihre Risiken zu minimieren und die sichere Versorgung mit benötigten Gütern aufrechtzuerhalten.
Wer alles «aus einer Hand» herstellt, hat stets die Kontrolle über seine Produktion. Diese unternehmerische Unabhängigkeit existiert in der global vernetzten Wirtschaft allerdings kaum noch. Schweizer KMU sind häufig von vielen Lieferanten abhängig, ohne deren kontinuierliche Zulieferung die Produktion rasch zum Erliegen kommt. Das realisierten manche Firmen in den letzten drei Jahren, in denen viele Lieferketten ins Stocken gerieten. Während der blockierte Suezkanal den Warentransport zwischen Asien und Europa nur vorübergehend lahmlegte, hat die COVID-19-Pandemie gravierendere Auswirkungen. Sie führte besonders in China, dem drittwichtigsten Importland der Schweiz, zu Produktionseinschränkungen. Dazu kamen Transportprobleme, etwa als Folge der Schliessung des Hafens von Shanghai.
Hohe Nachfrage nach Elektronik
Einzelne Bereiche wie die Chip-Branche sind besonders stark betroffen: In Erwartung einer Wirtschaftskrise wurde weltweit der geplante Ausbau der Produktionskapazitäten nach unten korrigiert. Dann zeigte sich, dass die Nachfrage nach Elektronik sogar zunimmt und dass generell die Wirtschaft weiter gut läuft. Die Produktion konnte nicht rasch genug wieder hochgefahren werden, und die Lieferengpässe wurden für manche Unternehmen zum Risiko, dessen sie sich zuvor gar nicht bewusst gewesen waren – oder das sie verdrängt hatten.
Umfrage zeigt starke Betroffenheit
Die BFH hat im letzten Juni eine Umfrage bei herstellenden Schweizer Unternehmen durchgeführt, um herauszufinden, wie stark diese von den Störungen in den internationalen Lieferketten betroffen sind und wie sie mit den Risiken umgehen. 433 Unternehmen haben teilgenommen, hauptsächlich aus der Metall-, Elektro- und Maschinenindustrie sowie der Holz-, Papier- und Druckindustrie. 56 Prozent bezeichneten die Auswirkungen als stark oder eher stark. 72 Prozent gaben an, dass Einkaufsteile teilweise nicht verfügbar seien, und gar 92 Prozent beklagten Preissteigerungen. Die am meisten betroffenen Güter waren Elektronikteile, Metalle und Kunststoffe. Neben den erwähnten Ursachen für die Störungen der Lieferketten führten die Unternehmen weitere auf. Dazu gehörten die gesteigerte Nachfrage wegen «Panikkäufen», Exportstopps wegen erhöhten Eigenbedarfs oder der Abbruch der Verhandlungen über das institutionelle Rahmenabkommen zwischen der Schweiz und der EU.
«Wer alles ‹aus einer Hand› herstellt, hat stets die Kontrolle
über seine Produktion. Diese unternehmerische Unabhängigkeit
existiert in der global vernetzten Wirtschaft allerdings
kaum noch.»
Kundenunzufriedenheit, Umsatzverlust (bei 51 Prozent der befragten Unternehmen), Reputationsschäden, genervte Mitarbeitende, Mehraufwand bei der Organisation und Planung, Preiserhöhungen: Die von den Unternehmen festgestellten Auswirkungen der gestörten Lieferketten sind vielfältig. Mit beträchtlichem Aufwand versuchen sie, die Verfügbarkeit von Materialien sicherzustellen und ihre Kundschaft bei der Stange zu halten. Wer eine Gelegenheit sieht, erhöht seine Lagerbestände, um für zukünftige Ausfälle gewappnet zu sein. Die bis vor Kurzem noch beliebte Strategie, kostspielige Lagerhaltung durch Lieferungen «just in time» zu ersetzen, birgt zurzeit hohe Risiken. Längerfristig wollen die Unternehmen mit neuen alternativen Lieferanten oder mit dem Einsatz alternativer Materialien und Prozesse ihre Lage verbessern.
Risiken analysieren und managen
Naturkatastrophen, Pandemien oder Konflikte werden auch in Zukunft zu Verwerfungen in den globalen Wertschöpfungs- und Lieferketten führen. Unternehmen sind gut beraten, diese Risiken zu priorisieren und ihre Strukturen anzupassen, um nicht plötzlich kurzfristig und hektisch reagieren zu müssen. Gemäss der BFH-Umfrage will jedes dritte Unternehmen sein Risikomanagement entsprechend ausbauen oder ein solches überhaupt erst einführen. Das ist gerade für KMU mit Aufwand verbunden. Unterstützung erhalten sie dabei vom Risikomanagementtool IBERIMA, das von der BFH und der Fachhochschule Graubünden entwickelt wurde. Im Rahmen eines von Innosuisse finanzierten Forschungsprojekts wurde untersucht, mit welchen Risiken Schweizer Unternehmen bei der internationalen Beschaffung konfrontiert sind, wie sie damit umgehen und wie Beschaffungsrisiken reduziert werden können. Das IBERIMA-Prozesshandbuch und die Arbeitsmittel stehen Unternehmen kostenlos zur Verfügung. Das Handbuch hilft KMU, Einkaufsteile zu priorisieren sowie Risiken zu identifizieren, zu bewerten, zu bewältigen und dauerhaft zu überwachen.
Ökosystem für Logistik und Supply-Chain-Start-ups
Ob die Regale in den Supermärkten gefüllt sind, Tankstellen über Treibstoff verfügen oder es die Geschenke pünktlich unter den Weihnachtsbaum schaffen: All das ist abhängig von funktionierenden Abläufen innerhalb der jeweiligen Wertschöpfungskette. Diese Abläufe sind auch für die Nachhaltigkeit zentral: Unternehmen und ihre Produkte können nur so nachhaltig sein, wie es die in die Herstellung involvierten Lieferanten und Vorlieferanten bis hin zum Rohstoff sind. Um die gesamte Wertschöpfungsketten in Bezug auf Verfügbarkeit, Effizienz und Nachhaltigkeit steuern und kontrollieren zu können, braucht es neue Technologien, Applikationen und Prozesse.
Diese sollen mit der 2021 an der BFH lancierten Initiative Swiss SupplyChainTech sichtbar gemacht und weiterentwickelt werden. Treiber der Entwicklung von innovativen technologiebasierten Lösungen in den Bereichen Logistik und Supply Chain Management sind Start-ups. Für sie bildet Swiss SupplyChainTech ein Ökosystem, in dem sie sich austauschen, mit der Forschung zusammenarbeiten und ihre Innovationen am Markt positionieren können. Mehrere solcher Lösungen unterstützen bereits Unternehmen beim Umgang mit den aktuellen Herausforderungen in den Lieferketten – zum Beispiel im Bereich der Bewertung von Lieferanten und Risiken oder bei der Verfolgung und Steuerung von Warenflüssen. Mit der Schweizerischen Post und Gilgen Logistics als Sponsoren erhält die Initiative Unterstützung von prominenten Logistikakteuren der Schweiz.
Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung - Keine Bearbeitungen 4.0 International Lizenz