«Im Zentrum der Digitalisierung steht die Kundschaft, nicht die Technologie»

Rolf Baumann, Leiter des BFH-Instituts für digitale Bau- und Holzwirtschaft, über coole Kundenerlebnisse, die grossen digitalen Herausforderungen für KMU und die Werkstatt der Zukunft.

Rolf Baumann, Leiter Institut für digitale Bau- und Holzwirtschaft IdBH, BFH

Herr Baumann, ist die Schweizer Holzbranche fit für die digitale Zukunft?

Rolf Baumann: Ja und nein. Ja, weil die Fachkompetenz vergleichsweise hoch ist und weil sich wichtige digitale Technologien in den vergangenen Jahren etabliert haben. Bei der digitalen Produktion sind manche Betriebe schon sehr weit, auch wenn es noch viel Luft nach oben gibt und die Unterschiede gross sind. Nein, weil das wirklich Revolutionäre der digitalen Transformation noch kaum in den Betrieben angekommen ist.

Was fehlt am meisten?

Man denkt zu stark und einseitig an die Technologie. Im Zentrum der Digitalisierung steht der Kunde, nicht die Technologie. Nehmen Sie als Beispiel das Einkaufserlebnis. Bestelle ich heute einen Schrank beim Schreiner, muss ich zuerst einen Anbieter suchen und einen Termin vereinbaren. Meist möchte man einen Vergleich haben und macht das somit mehrfach. Der Schreiner kommt zu mir nach Hause, führt ein Verkaufsgespräch und nimmt Mass. Eine Woche später schickt er mir eine Offerte. Es folgen E-Mails oder Telefonate. Wenn es schliesslich zu einem Auftrag kommt, wird zwei Monate später ein Schrank montiert. Die Frage ist: Wie kann auch die Holzbranche coolere Einkaufsmöglichkeiten schaffen?

Diese Frage ist Teil des Innosuisse-Forschungsprojekts, mit dem die BFH zusammen mit Partnern aus der Wirtschaft an der «Werkstatt der Zukunft» arbeitet.

Ja, in der «Werkstatt der Zukunft» geht es auch darum, den Bestellprozess ins Internet zu bringen. Vielleicht schaffen wir es beispielsweise, mit den neuen Lasersensoren in Mobiltelefonen sogar die Massaufnahme zu ersetzen. Damit könnten Kundinnen und Kunden zu Hause Bilder machen, und der Schreiner müsste für die Massaufnahme nicht mehr in ihr Zuhause kommen. Das grössere Problem ist allerdings die Vernetzung aller Einzellösungen zu einem Gesamtsystem. Das ist die Kernfrage, mit der wir starten: Wie können wir komplexe Systeme modellieren, und wie können wir die wichtigsten Anlagen und Softwarelösungen zu einem Gesamtsystem vernetzen? Uns interessiert auch die technische Umsetzung, viel mehr noch geht es uns aber um die wirtschaftlichen Aspekte in den KMU. Daraus ergeben sich enorm komplexe Problemstellungen.

Rolf Baumann

Welche zum Beispiel?

Das grösste Problem ist, die Komplexität überhaupt sichtbar zu machen. Es ist heute nicht mehr möglich, dass eine Einzelperson das Gesamtsystem verstehen kann. Nehmen wir als Beispiel das Building Information Modeling (BIM), das sich flächendeckend durchsetzen wird. Kern ist der digitale Zwilling eines Gebäudes. Als Bauherr oder Planerin habe ich das einzelne Gebäude im Kopf. Als Produkthersteller interessiert mich aber nur mein Produkt – und zwar nicht nur in diesem einen Gebäude, sondern in vielen Gebäuden mit unterschiedlichen Teams, in unterschiedlichen Produktionsphasen mit anderen Prozessen und Softwarelösungen. Es geht also darum, diese an die eigenen standardisierten Prozesse anzubinden. Solche Vernetzungen überfordern viele.

Fokus auf der digitalen Transformation: die «Werkstatt der Zukunft» bietet eine Lern-, Forschungs-, Test- und Demoumgebung im Massstab 1:1.

Wie lässt es sich lösen?

Wir haben in den vergangenen Jahrzehnten in erster Linie die Effizienz einzelner Bereiche gesteigert. Nun müssen wir das Gesamtsystem optimieren, nicht nur in der Produktion, sondern über sämtliche Prozesse von der Akquisition bis zum Kundendienst. Zwei Systeme miteinander über eine Schnittstelle zu verbinden, wird oft gemacht. Was meist fehlt, ist die Automatisierung über das Gesamtsystem. Nehmen wir als Beispiel das Material. In der Konstruktion brauchen wir dazu die Dimensionen, in der Beschaffung die Mengen, in der Kalkulation die Kosten, im Lager die Bestände und so weiter. Dabei sollten die verschiedenen Lösungen so vernetzt sein, dass das Gesamtsystem zuverlässig läuft. Auftragsänderungen, Fehlerkorrekturen, Systemupdates müssen gemacht werden können, ohne dass der Betrieb und die bestehenden Aufträge beeinträchtigt werden.

Was heisst das konkret?

Führungspersonen in KMU haben heute einen höchst anspruchsvollen Job: Sie müssen sich meist um mehrere Fachgebiete wie Verkauf, Marketing, Personal oder Finanzen gleichzeitig kümmern. Das machen viele sehr gut, aber die Möglichkeiten bleiben zwangsläufig begrenzt. Mit der «Werkstatt der Zukunft» bieten wir eine Lern-, Forschungs-, Test- und Demoumgebung im Massstab 1 : 1 mit dem Fokus auf die digitale Transformation. Wir arbeiten mit den verschiedenen Herstellern von Software, Hardware, Maschinen und Werkzeugen zusammen, in deren Interesse es ja auch ist, dass ihre Kunden wettbewerbsfähig bleiben. Wir entwickeln mit der Wirtschaft Lösungen, beraten Betriebe und bilden natürlich Fachkräfte aus und weiter.

Wie zum Beispiel?

Im Master Wood Technology wird während eines Semesters ein Vertiefungsprojekt Digital Manufacturing durchgeführt. Die Studierenden erarbeiten eine vollautomatische Kistenproduktion. Sie entwickeln einen Webshop, in dem Kisten mit individuellen Massen bestellt werden können. Dann erstellen sie den gesamten, digital vernetzten Produktionsprozess von der Fertigung bis zum Versand und zur Abrechnung.

Auf Mitarbeitende kommen gewaltige Veränderungen zu, oder?

Definitiv. Wir benötigen andere Denkweisen und Methoden. Nehmen wir beispielsweise die Arbeitsvorbereitung: Während früher ein Mitarbeiter für einen Kunden das Produkt von Grund auf konstruiert hat, wird er es künftig nur noch konfigurieren. Dafür müssen aber parametrische Modelle entwickelt und mit dem Gesamtsystem vernetzt werden. Ob das unter dem Strich mehr oder weniger Arbeit bedeutet, ist schwierig abzuschätzen. Aber die Arbeit wird sich verändern. In diesem Beispiel wird sie deutlich anspruchsvoller.

Infos zum Institut für digitale Bau- und Holzwirtschaft IdBH