«Industrie und Fachhochschule brauchen sich gegenseitig»

Aude Chabrelie und Urs-Thomas Gerber unterrichten an der BFH im Bereich nachhaltiges Bauen mit den Schwerpunkten Nachhaltigkeitsanalysen und zirkuläres Bauen. Mit ihrer grossen Erfahrung aus der Privatwirtschaft wollen sie den Studierenden Mut machen, Einfluss zu nehmen.

Frau Chabrelie, Herr Gerber, warum liegt Ihnen nachhaltiges Bauen am Herzen?

Aude Chabrelie: Weil wir damit grossen Einfluss auf die Umwelt haben. Ich arbeite seit 15 Jahren in der Baubranche. Zuletzt bei Vigier Rail. Die Baubranche verursacht 40 Prozent des gesamten CO2-Ausstosses. Wenn wir in dieser Branche etwas verbessern, hat das eine grosse Wirkung.

Urs-Thomas Gerber: Nach meinem Ingenieurstudium an der BFH habe ich mich direkt auf ökologisches und nachhaltiges Bauen spezialisiert. Ich realisierte, dass wir viele Ressourcen nicht effizient einsetzen und dass die Baubranche für viel CO2 verantwortlich ist. Mit Gebäuden geben wir zwar den Menschen Obdach, aber wir belasten die Umwelt viel zu stark. Ich wusste, dass ich hier meinen Beitrag leisten möchte.

Wie sieht Ihre eigene Wohnsituation in Bezug auf Nachhaltigkeit aus?

Chabrelie: Ich wohne mit meinem Mann und meinem Sohn als Mieterin in einem Mehrfamilienhaus. Wir haben von einer Erdöl- auf eine Schnitzelheizung gewechselt. Unsere Möbel liessen wir von der Schreinerei im Dorf herstellen, und das Gemüse kaufen wir lokal auf dem Bauernhof. Neu starten wir einen Gemüsegarten, um das Zusammenleben mit den Nachbarn zu stärken.

Gerber: Ich wohne mit meiner Frau und unseren beiden Kindern in einem Doppeleinfamilienhaus aus dem Jahr 1979. In den letzten Jahren wurde eine Pelletheizung eingebaut, der Keller gedämmt, die Fenster ersetzt und eine Photovoltaikanlage auf den beiden Garagen montiert. Eine grössere PV-Anlage zusammen mit dem Nachbar ist geplant. Die Effizienz wurde somit massiv erhöht, und der Betrieb ist nun fossilfrei.

Sie sind beide neu hauptberuflich als Dozent*innen für nachhaltiges Bauen angestellt. Weshalb baut die BFH diesen Bereich weiter aus?

Gerber: Die BFH hat die Strategie neu überarbeitet. Darin gehört die Nachhaltigkeit zu den drei Schlüsselthemen. Für Bildungsstätten ist das zentral, weil Nachhaltigkeit für die Gesellschaft und für die Welt unabdingbar ist. Zudem ist sie im Alltag vieler KMU angekommen. Die Wirtschaft braucht also vermehrt nachhaltige Lösungsansätze. Die BFH thematisiert die Nachhaltigkeit bereits in diversen Bildungsangeboten, sodass die Absolvent*innen gut gerüstet sind und über das notwendige Wissen verfügen.

Herr Gerber, Sie unterrichten in den Bachelorstudiengängen Architektur, Holztechnik und Bauingenieurwesen mit dem Fokus auf zirkuläres Bauen. Welches Wissen möchten Sie vermitteln?

Gerber: Studierende sollen ganz genau wissen, wann und wie sie welches Material einsetzen sollen. Ich möchte ihnen vermitteln, wie sie mit nicht erneuerbaren Ressourcen haushälterisch umgehen und erneuerbare Ressourcen effizient einsetzen können. Ein Beispiel: Auch in Zukunft brauchen wir Brücken, Häuser und Schulhäuser. Wir möchten aber mehr mit Holz bauen und weniger mit Beton, weil das zur Dekarbonisierung beiträgt. Dies bedeutet, dass wir zum Beispiel mit einer cleveren Holzkonstruktion mit 100 Kilogramm Holz 1 Tonne Beton substituieren.

Chabrelie: Das richtige Material am richtigen Ort einsetzen, ist ein wichtiger Punkt. Beton zum Beispiel ist nicht nur CO2-Emittent. Das Material hat auch gute Eigenschaften. Ich habe mehrmals die Überraschung erlebt, dass vermeintlich schlechte Werkstoffe besser sind als ihr Ruf. Betonbahnschwellen zum Beispiel haben eine geringere Auswirkung auf die Umwelt als Bahnschwellen aus Holz – weil sie langlebiger sind. Wir müssen offen bleiben und immer wieder analysieren und quantifizieren. So können wir Produkte wirklich verbessern.

Frau Chabrelie, Ihr Schwerpunkt sind Nachhaltigkeitsanalysen. Was möchten Sie den Studierenden konkret vermitteln?

Chabrelie: Nachhaltigkeitsanalysen schaffen eine Basis, um Massnahmen zu ergreifen, welche die Nachhaltigkeit verbessern. Doch wie wissen wir, welche Massnahme eine grosse Wirkung entfaltet und welche eine kleine? Mit der Nachhaltigkeitsanalyse zeige ich den Studierenden ein Tool, mit dem sie anhand von Fakten Entscheidungen treffen können. Das Thema Nachhaltigkeit wird schnell auch emotional. Das ist gut so, damit wir überhaupt handeln. Um zu diskutieren und zu entscheiden, braucht es aber Fakten. In der Wirtschaft habe ich erlebt, dass Nachhaltigkeitsanalysen zwar öfter gemacht werden, als wir denken – leider aber erst spät im Prozess. Ich möchte den Studierenden vermitteln, dass es wichtig ist, die Analyse möglichst früh im Projekt ins Zentrum zu stellen.

Sie beide kommen aus der Wirtschaft. Wie kann die BFH die Wirtschaft unterstützen?

Gerber: Die Unterstützung ist gegenseitig. Es braucht einerseits die Industrie, die weiss, wo die Probleme liegen und unter welchen Bedingungen sie etwas herstellen muss. Und es braucht die Hochschule, die als Kompetenzzentrum für viele Fachgebiete zusammen mit der Wirtschaft neue nachhaltige Lösungen entwickelt.

Chabrelie: Die Wirtschaft braucht das Know-how von Fachhochschulen und profitiert von deren zeitlichen Ressourcen. In der Wirtschaft müssen Mitarbeitende operativ sein, sodass diese Ressourcen nicht immer zur Verfügung stehen. Die Schweiz will bis 2050 klimaneutral sein. Der Zeitdruck ist hoch. Die Industrie kann das allein nicht schaffen.

Welche Erfahrungen aus der Wirtschaft geben Sie den Studierenden weiter?

Gerber: Seit 17 Jahren arbeite ich in der Ingenieurbranche im Bereich Nachhaltigkeit. Ich habe gelernt, was gut und was weniger gut funktioniert. Diesen Erfahrungsschatz möchte ich den jungen Leuten weitergeben.

Chabrelie: Ich möchte ihnen zeigen, wie sie in der Industrie etwas bewirken können. Und sie darin bestärken, Mut zu haben und Einfluss zu nehmen. Ich habe beobachtet, dass oft zugewartet wird, bis der Chef etwas entscheidet. Angesichts der Dringlichkeit des Themas muss aber jeder selbst Verantwortung übernehmen.

Dr. Aude Emilie Chabrelie
Professorin für nachhaltiges Bauen mit dem Schwerpunkt Nachhaltigkeitsanalysen, BFH
Urs-Thomas Gerber
Professor für nachhaltiges Bauen mit dem Schwerpunkt zirkuläres Bauen, BFH