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Kreislaufwirtschaft als Chance – Bauabfälle als Ressource

Noch ist unklar, wie dereinst Baumaterialien und -teile direkt und ohne wesentliche Verluste in neue Bauwerke zurückgeführt werden können. Das Themenfeld ist neu. Klar ist nur: Wenn die graue Umweltbelastung der Bauwirtschaft substanziell reduziert werden soll, dann wird ein Paradigmenwechsel in der Planung stattfinden müssen.

Dieser Paradigmenwechsel in der Planung bringt nicht nur Herausforderungen, sondern vielmehr auch Chancen mit sich. Fachkenntnisse sind gefragt, neue Handlungsfelder und Gestaltungsräume tun sich auf. In der Special Week «Bauabfälle als Ressource» machten sich Studierende und Dozierende auf die Suche nach neuen Ideen.

Die Zahlen sind eindrücklich: Gut 15 Prozent der in der Schweiz verursachten Umweltbelastung[1] gehen auf die Erstellung, den Unterhalt und die Entsorgung von Bauwerken zurück. Auf der anderen Seite ist der Bau für rund 84 Prozent der in der Schweiz produzierten Abfälle (65 Prozent Aushub- und Ausbruchmaterial und 19 Prozent Rückbaumaterial)[2] verantwortlich.

Eine effizientere Weiterverwendung von Rückbaumaterial würde Ressourcen schonen, Deponien entlasten sowie die Umweltbelastung durch Verarbeitung und Transport reduzieren.

Die Planer*innen halten einen riesigen, bislang noch wenig bedachten Hebel in der Hand.

[1] BAFU. (2019). Projekt MatCH – Synthese, Material- und Energieflüsse der schweizerischen Volkswirtschaft. 

[2] https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/abfall/inkuerze.html, eingesehen am 4. Januar 2022.

Nur ‒ sollen die Kreisläufe am Bau geschlossen werden, bedeutet dies, dass die Verfügbarkeit von Materialien und Bauteilen an den Anfang gestellt und somit die gewohnten Abläufe radikal neu gedacht werden müssen. Hier setzten die Studierenden der BFH-AHB Special Week «Bauabfälle als Ressource» an und entwickelten Hypothesen für eine kreislauffähige Bauwirtschaft. Dabei wurden ganz neue Handlungsfelder entdeckt.

Die Ideen und Strategien der Studierenden entstanden, während sie sich auf verschiedenen Exkursionen entlang des Entsorgungswegs von Bauten (Rückbau, Sortierung, Deponie, KVA, Recyclingwerk) mit der Problematik auseinandersetzten. Die Besichtigung von Pionierprojekten wie dem K118 des Baubüro in situ oder dem NEST-Gebäude dienten als Inspiration.

Die theoretischen Grundlagen lieferten verschiedene Fachvorträge – beispielsweise von Isabel Gutzwiller, Stahlbau Zentrum Schweiz SZS zum Thema Wiederverwendung im Stahlbau, von Prof. Corentin Fivet, EPFL, über «optimum reuse» und Forschungsprojekte, von Patrick Fuchs, BFH, über Kreisläufe im Holzbau oder von Eva Stricker und Guido Brandi, ZHAW, über ihre Forschung zur Wiederverwendung von Bauteilen.

Die Studierenden auf Exkursion entlang der Entsorgungswege von Bauten – in der Deponie….

… in der Sortieranlage…

«Kann die Küche zum Präzedenzfall für ein modulares Bausystem werden, das einfach unterhalten, erneuert oder sogar wiederverwendet werden kann?» Diese Frage stellten sich Sandro Jud und Davide Werren.

Küchen werden meist nach der SMS- oder Euro-Massnorm geplant und gebaut. Dennoch unterscheiden sie sich im Detail. Korpusse, Fronten oder Auszüge sind untereinander nicht kompatibel und teilweise von schlechter Qualität. Ganze Küchen werden entsorgt, obwohl nur einzelne Teile am Ende des Lebenszyklus angekommen sind, denn eine Renovation ist unmöglich oder lohnt sich nicht. Noch mehr würde eine Wiederverwendung an einem neuen Ort aufwendige und teure Anpassungen nach sich ziehen. «Es fehlt nicht viel», sind Jud und Werren überzeugt. Was, wenn die Küchenbaufirmen die Standardisierung bis ins Detail weitertrieben? Modular geplant und aus dauerhaften Materialen konstruiert, könnten Küchen viel länger unterhalten, bei Bedarf erneuert und sogar wiederverwendet werden. Dies wäre ein starkes Kaufargument für die kosten- und umweltbewusste Bauherrschaft.

«In der digitalen Kette im Holzmodulbau klafft eine Lücke. Soll der Kreis geschlossen werden, müssen der Rückbau vor Ort und die Demontage im Werk zur Materialgewinnung mit bedacht werden.» Diese Feststellung veranlasste Tobias Hasler, David Marty und Aaron Müller im Gespräch mit verschiedenen Expert*innen dazu, herauszufinden, ob es möglich wäre, die Lücke zu schliessen. Ihre Recherchen zeigen, dass es noch verschiedene Herausforderungen gibt: Zentral für die automatisierte Demontage ist die Durchgängigkeit der Daten, die jede Anpassung vor Ort verbietet. Auch müssten die Art der Verbindungen und die Materialwahl auf die spätere Demontage abgestimmt werden. Das Fazit der drei Studenten: Der automatisierte Rückbau wäre eigentlich möglich. Doch das Ende des Lebenszyklus der heute produzierten Module liegt noch in weiter Ferne. Es besteht noch kein Interesse. Die hohen Kosten jedoch, die eine zerstörungsfreie Trennung der Materialien als Voraussetzung für eine effiziente Kreislaufwirtschaft mit sich bringt, macht die aufgeworfene Frage nach der automatisierten Demontage besonders relevant.

«Nur wenn bekannt ist, wo was verfügbar ist, können Bauteile und Materialien wiederverwendet werden.» Flavia Frautschi, Tobias König, Jana Röthlisberger und Nedim Terzic sehen ein Informationsdefizit als Hindernis für die Nutzung der «urbanen Mine» (die Stadt als  Rohstofflagerstätte) und verfolgten daher einen systemischen Lösungsansatz. Sie haben ein nationales Bauteilkataster vorgeschlagen. Im Rahmen von Abbruchgenehmigungen sollen die verwendbaren Baustoffe und -teile erfasst und in einem Bauteilkataster publiziert werden. Bauherren, Planerinnen oder Unternehmen können darauf zugreifen und so an geeignete Materialien gelangen.

Im Rahmen von Neubaubewilligungen werden ebenfalls Informationen im Kataster abgelegt. Das Instrument liefert die dringend notwendigen, umfassenden Informationen über die Ressourcen im Baubestand, die zur Entwicklung geschlossener Kreisläufe notwendig sind. Die Bewirtschaftung des «Materiallagers», so die Gruppe, schafft eine neue Profession: «Urban Miner» sind Spezialist*innen für die  Beurteilung und Qualifizierung des Baubestands im Hinblick auf die Weiterverwendung.

Seien es die «Urban Miner» oder die Planer*innen, die durch die generalistische Sichtweise und die Nähe zur Kundschaft Bedürfnisse erkennen und dann zusammen mit Unternehmen kreislauffähige Produkte entwickeln wie im Beispiel der modularen Küchen, oder sei es wie im Beispiel der automatisierten Demontage die Entwicklung von ökonomischen Rückbauprozessen ‒ die drei Beispiele zeigen exemplarisch, wie vielfällig und spannend die neuen Herausforderungen sind und welche Chancen sich in der Kreislaufwirtschaft eröffnen.

Die Diskussion der studentischen Visionen am letzten Tag gemeinsam mit David Hiltbrunner, Sektion Rohstoffkreisläufe des BAFU, hat gezeigt, dass es noch viel Entwicklung braucht. Das Engagement der Studierenden war spürbar: Sie wollen einen Beitrag zur Reduktion der grauen Umweltbelastung leisten und fordern, dass durch gesetzliche, wirtschaftliche und normative Rahmenbedingungen Anreize für die Kreislaufbauwirtschaft geschaffen werden.

Katrin Büsser
Professorin für Architektur und Planung, BFH