Mit dem Projekt «patient@home» will das Spitalzentrum Biel Patient*innen vermehrt zu Hause betreuen. (Bild: pexels.com)

Mit besserem Datenaustausch die Gesundheitskosten senken

Das Spitalzentrum Biel (SZB) hat das Projekt «patient@home» gestartet, mit dem Patient*innen vermehrt zu Hause betreut werden sollen. Die Berner Fachhochschule BFH übernahm bei der Machbarkeitsstudie die Projektleitung. Grundsätzlich geht es um einen verbesserten Informationsaustausch zwischen den verschiedenen Gesundheitsinstitutionen. Das SZB will das Modell mittelfristig in den Regelbetrieb aufnehmen und damit auch einen Beitrag im Kampf gegen den Fachkräftemangel und zur Senkung der Gesundheitskosten leisten.

Das Schweizer Gesundheitswesen ist mit vielen Problemen konfrontiert. Dazu gehört zum Beispiel der Umstand, dass es immer mehr ältere und chronisch kranke Menschen gibt, die in Spitälern versorgt werden müssen. Gleichzeitig möchten diese aber gerne länger zu Hause gepflegt werden. Zudem herrscht seit Jahren ein grosser Fachkräftemangel, der sich im Zug der Coronapandemie weiter verschärft hat. Damit steht in den Spitälern immer weniger Personal zur Betreuung zur Verfügung. Und die Kosten des Schweizer Gesundheitswesens steigen laufend an, was sich in immer höheren Krankenkassenprämien niederschlägt.

Eine mögliche Lösung für kürzere Spitalaufenthalte und eine bessere Versorgung in den eigenen vier Wänden sind eine verstärkte Zusammenarbeit und insbesondere ein verbesserter Informationsaustausch zwischen Spitälern, Pflegediensten und Hausärzt*innen. So könnten die Patient*innen nach einer Erstversorgung im Spital früher entlassen werden. Und Menschen mit chronischen Erkrankungen könnten auch länger zu Hause optimal versorgt und überwacht werden. Treten heute Patient*innen aus dem Spital aus, stehen oftmals nur ungenügende Informationen für die Nachbehandlung zur Verfügung.

Vielfältige Gesundheitsnetzwerke

Im Rahmen eines zweiten Massnahmenpakets zur Senkung der Gesundheitskosten schlug der Bundesrat im Herbst 2022 solche Netzwerke zwischen den verschiedenen Gesundheitsinstitutionen mit einem verbesserten Informationsaustausch für eine koordinierte Versorgung vor. Diese Koordination ist allerdings anspruchsvoll, sowohl prozessual als auch IT-technisch; denn hierzulande sind die Datenverarbeitungssysteme so vielfältig wie das Gesundheitswesen im Allgemeinen. Allein rund 15 verschiedene Spital-IT-Systeme sind in Schweizer Spitälern im Einsatz. Mit ähnlich vielen unterschiedlichen Systemen arbeiten die Spitexorganisationen. Bei den Hausärzt*innen sind es mehr als 80. In Ländern mit einem staatlichen Gesundheitssystem ist das meist anders. So etwa in Skandinavien: Im dänischen Gesundheitswesen wird zum Beispiel nur ein einziges Datenverarbeitungssystem verwendet.

Unter den Schweizer Voraussetzungen sind Kommunikation und Zusammenarbeit hingegen sehr schwierig. Das ist umso bedauerlicher, weil für die koordinierte Versorgung und die Betreuung zu Hause alles vorhanden ist: Es gibt Spitex- und Mahlzeitendienste, Haushalthilfen oder Angehörigenpflege. Projekte zu einer solchen koordinierten Versorgung gibt es in der Schweiz aber nur wenige.

60 Patient*innen zu Hause betreuen

Nun will die BFH zusammen mit dem Spitalzentrum Biel (SZB) und dem Lausanner IT-Unternehmen Domo Health nach einer umfangreichen Machbarkeitsstudie ein neues Pilotprojekt unter dem Namen «patient@home» starten. Einzig dessen Finanzierung ist noch nicht definitiv gesichert. Während eines Jahres sollen 60 Patient*innen verstärkt zu Hause betreut werden. Hauptmotivation für das SZB ist der zunehmende Fachkräftemangel. Vorerst sollen die medizinischen und organisatorischen Daten nur zwischen dem SZB und den Spitexdiensten ausgetauscht werden. Für das Pilotprojekt werden alle Daten auf einem zentralen System abgelegt: Dafür dient eine bestehende Softwarelösung des Lausanner IT-Unternehmens.

Geplant ist, dass die BFH das Projekt koordiniert, wissenschaftlich begleitet und nach Bedarf auch neue IT-Tools konzipiert. Zu Letzteren könnten zum Beispiel Anwender-Apps gehören, mit denen Patient*innen zu Hause diverse Gesundheitsfunktionen selbst überwachen. Grundsätzlich geht es um die Klärung folgender Fragen: Welche Datenquellen und Messgeräte braucht es zur Überwachung der verschiedenen Krankheitsbilder? Welche Kommunikations- und Dokumentationsmassnahmen sind relevant? Welche Therapiemassnahmen erzeugen welche Daten oder benötigen welche Informationen?

Damit Patient*innen vermehrt zu Hause betreut werden können, braucht es auch den Einsatz von Tele-Diagnostik-Geräten. Etwas vereinfacht könnte eine Versorgungskette zum Beispiel folgendermassen aussehen: Ein Spitexmitarbeiter hält einer Patientin ein mobiles Stethoskop auf die Brust. Die Herztöne werden in einer Audiodatei gespeichert und auf der zentralen Datenplattform abgelegt. Dort holt sie sich eine Ärztin später ab, analysiert sie und stellt gegebenenfalls ein Rezept bei einer Onlineapotheke aus. Das entsprechende Medikament gelangt dann via Hauslieferdienst zur Patientin. Auch andere Tele-Diagnostik-Geräte kommen zum Einsatz, etwa zur Überwachung der Sauerstoffsättigung im Blut oder zum Messen und Aufzeichnen der Lungenfunktion. Zudem finden Gespräche mit Ärzt*innen via Bildschirm statt, und auch der zukünftige Einsatz von Pflegerobotern ist denkbar.

Bedienerfreundlich und zuverlässig?

Manche dieser Geräte sollen Patient*innen selbst bedienen, was eine engmaschigere Überwachung ermöglicht, als wenn sie nur einmal am Tag von Spitexmitarbeitenden angewendet werden. Deshalb geht man in dem Projekt auch der Frage nach, wie bedienerfreundlich die eingesetzten Geräte für die jeweiligen Altersgruppen sind und wie zuverlässig die Überwachung der Gesundheitsfunktionen damit sein kann.

Das Projekt soll auch darüber Auskunft geben, wie gut die Betreuung in den eigenen vier Wänden bei den Patient*innen und deren Angehörigen selbst ankommt und angenommen wird. Denn das mittelfristige Ziel ist klar: Das SZB will «patient@home» in den Regelbetrieb nehmen und auch Hausärzt*innen an das System anschliessen. In gewisser Weise will man mit diesem Projekt dem Kanton Bern und dem Bund auch aufzeigen, dass sich solche Koordinationsleistungen für die Gesundheitsinstitutionen lohnen müssen, um letztlich auch einen Beitrag zur Senkung der Gesundheitskosten zu leisten. Denn bisher können solche Leistungen nicht abgerechnet werden.

Dr. Sang-Il Kim
Professor für Medizinische Informatik,