
Neues bauen aus Ruinen
Maryna Topuz ist eine von 30 Teilnehmer*innen im CAS Wiederaufbau Ukraine an der Berner Fachhochschule BFH. Die Ukrainerin lebt mit ihrer Familie seit 13 Monaten in der Schweiz. Ein Gespräch über schnelle Entscheide, Neuanfänge, Zukunftsträume.
Er ist kein gewöhnlicher Montag, dieser 27. Februar 2023 an der Berner Fachhochschule BFH in Biel. Die Stühle im Auditorium sind gut besetzt, die Stimmung im Saal ist feierlich und die Menschen unterhalten sich in vielen Sprachen – Englisch, Deutsch, Schweizerdeutsch, Ukrainisch sind zu hören. Viele der Anwesenden sind Frauen. Zwischen den verschiedenen Begrüssungsreden singen Frauen in ukrainischen Trachten traditionelle Lieder, unter anderem die ukrainische Nationalhymne. Aufmerksam hören die Menschen zu, auch die ukrainische Botschafterin ist zu Besuch. Ein Team filmt und fotografiert, auch die Medien sind anwesend.

30 Personen starten an diesem Montag ihre Weiterbildung im Rahmen des CAS Wiederaufbau Ukraine (siehe Kasten) – 27 Frauen und 3 Männer. Unter ihnen ist Maryna Topuz. Die 44-jährige Ukrainerin hat einen Hochschulabschluss des Staatlichen Pädagogischen Instituts für Fremdsprachen in Gorlivka (Ukraine) sowie ein Wirtschaftsdiplom der deutschen Universität Ulm.
Maryna Topuz und ihre Studienkolleg*innen sind in Biel versammelt, weil sie am Wiederaufbau ihres Heimatlands mitarbeiten wollen. Der Krieg in der Ukraine hat fatale Folgen für die Bevölkerung. Wichtige Infrastruktur, private und öffentliche Gebäude sowie Versorgungsnetzwerke wurden zerstört. Damit fehlt der ukrainischen Bevölkerung die Grundlage für ein sicheres und friedvolles Leben. Für Landschaft, Natur und Umwelt hat der Krieg ebenfalls katastrophale Konsequenzen. Eine grosse Herausforderung.
Hier setzt der CAS-Studiengang an. Er richtet sich an geflüchtete Frauen und Männer aus der Ukraine, an Ukrainer*innen, die schon länger in der Schweiz leben, und an Mitglieder von Hilfsorganisationen, die sich am Wiederaufbau beteiligen werden. Sie bekommen das Rüstzeug, den Wiederaufbau von Gebäuden und Infrastrukturbauten in der Ukraine zu beurteilen, mitzugestalten und zu leiten.

Schnelle Entscheide
Den Entscheid, sich für die Weiterbildung anzumelden, hat Maryna Topuz rasch getroffen. Am Tag des Anmeldeschlusses hat sie in den sozialen Medien über das CAS gelesen, umgehend die notwendigen Unterlagen zusammengestellt und sich angemeldet. Finanziert wird ihre Teilnahme durch eine Patenschaft (siehe Kasten). «Dafür bin ich dankbar», sagt Topuz mit Nachdruck. Der Entscheid zur Anmeldung war unbestritten: «Ich will etwas beitragen können zur Verbesserung der Situation in meiner Heimat, die nie mehr dieselbe sein wird, wie vor dem Krieg», erklärt sie mit nachdenklicher Stimme, ihr Blick schweift in die Ferne. Die Ukrainerin lebt seit Mai 2022 mit ihrem Ehemann, ihrem fünfjährigen Sohn und ihren Eltern in Zürich. Sie besuchte in dieser Zeit Deutschkurse und jetzt das CAS. Ihr Sohn geht seit September 2022 in den Kindergarten.
Auch den Entscheid, ihre Heimat zu verlassen, hat Maryna Topuz und ihre Familie recht schnell gefällt: «Es war früh nach Kriegsausbruch klar, dass die Situation zu unsicher und gefährlich wird für uns – insbesondere für meinen Sohn und meine Eltern.» Sie lebten zusammen mit anderen Menschen in Kiew in einer Tiefgarage, irgendwann war ihr Sohn das einzige Kind. Für die Schweiz entschieden hat sie sich, weil sie bereits früher beruflich in der Schweiz zu tun hatte, unter anderem in Genf. Nach Zürich kamen sie, weil Maryna Topuz seit ihrem Studium in Ulm Deutsch spricht.
Ihre Zeit in der Schweiz möchte die Ukrainerin sinnvoll nutzen und sich möglichst gut integrieren, deshalb besuchte sie Deutschkurse und jetzt den Weiterbildungsstudiengang der BFH. Und um sich nachhaltig für ihre Heimat zu engagieren – nach der Rückkehr, nach dem Krieg. «Ich will mich aktiv am Wiederaufbau meines Heimatlands beteiligen.»
Neues Wissen
Im CAS hofft sie, das dazu notwendige Know-how kennen- und anwenden zu lernen, um am Wiederaufbau mitarbeiten zu können. Noch lasse sich nicht Bilanz ziehen (das Gespräch mit Maryna Topuz fand vier Wochen nach CAS-Start statt, Anm. der Redaktion), doch die 44-Jährige ist bereits jetzt überzeugt vom Weiterbildungsangebot: «Es bietet Struktur, fokussiert auf die Zukunft und bietet uns neues Wissen – ausgerichtet auf den Wiederaufbau.» Spannend sei auch der Austausch mit vielen verschiedenen Menschen, so Topuz. Mit Landsleuten, die in einer ähnlichen Lebenssituation sind wie sie und mit Menschen aus dem Berufsalltag – aus Wirtschaft, Forschung und Lehre.

Fokus auf die Zukunft
Maryna Topuz hat im Kriegsalltag und auf der Flucht Schreckliches erlebt. Auch in der Schweiz ist die Situation in ihrem Heimatland oft präsent – durch die Medienberichterstattung natürlich und die regelmässigen Kontakte mit Freund*innen, die zurückgeblieben sind. Sind der Krieg und die traumatischen Erlebnisse an Unterrichtstagen gegenwärtiger als sonst? Gerade das Gegenteil sei der Fall, sagt sie. «Wir sind primär mit den Unterrichtsinhalten und -themen beschäftigt, unser Fokus ist auf die Zukunft ausgerichtet, nicht auf die Vergangenheit.»
CAS Wiederaufbau Ukraine
Studieninhalte
Die Teilnehmenden lernen, wie die Ukraine auf nachhaltige Weise wiederaufgebaut werden kann, wobei die Grundsätze der Kreislaufwirtschaft, der Energieeffizienz und naturfreundliche Lösungen im Vordergrund stehen.
Die Teilnehmenden lernen Methoden, Instrumente und Software für die Schadensanalyse kennen und einsetzen.
Sie planen die Sicherstellung der Versorgung mit lebenswichtigen Gütern (Supply Chains), der temporären und definitiven Wasser- und Stromversorgung und verstehen die Rolle von Energiezentralen und -netzen.
Sie befassen sich mit Gebiets-, Siedlungs-, Areal- und Stadtentwicklung.
Sie lernen die Möglichkeiten des digitalen Bauens gemäss Building-Information-Modelling(-BIM)-Methode kennen.
Sie erwerben Kenntnisse für die Konzeption von Bauten in Holz- und Hybridbauweise.
Sie setzen sich mit den politischen Rahmenbedingungen für den Wiederaufbau in der Ukraine auseinander.
Methode
Der Weiterbildungsstudiengang wurde in enger Zusammenarbeit mit Expert*innen aus Wirtschaft, Wissenschaft, Forschung und Behörden erarbeitet. Das Bearbeiten realer Fallbeispiele ermöglicht den Teilnehmenden, das vermittelte Fachwissen im Arbeitsalltag direkt anzuwenden. Die Auseinandersetzung mit bereits umgesetzten sowie geplanten Projekten sorgt für einen hohen Praxisbezug.
Dauer
4 Monate (130 Kontaktlektionen / 160 Lektionen Selbststudium)
Patenschaft – Helfen Sie mit
Für die nächste Durchführung im Oktober 2023 werden noch Patenschaften gesucht.
Firmen der Schweizer Holz-, Bau und Immobilienbranche, Vereine, Organisationen oder auch Privatpersonen haben die Möglichkeit, geflüchteten Frauen und Männern die Teilnahme am CAS Wiederaufbau Ukraine zu ermöglichen, indem sie für diese die Teilnahmegebühren und Spesen von ca. 8000 Franken übernehmen.
Mit einer Patenschaft helfen Sie gleich dreifach: der geflüchteten Person (Student*in) bei ihrer beruflichen Entwicklung, ihrer Familie, welche dadurch neue Perspektiven erhält, sowie der Region, in der sich die Person mit ihrem Wiederaufbauprojekt engagieren kann.
– Patenschaft: campaign.bfh.ch/caswiederaufbauukraine/
Kooperation und Kollaboration
Das CAS ist ein Kollaborations-CAS. Nebst der Initiantin Berner Fachhochschule BFH bringen weitere Schweizer Hochschulen ihre Fachkompetenzen in den Weiterbildungsstudiengang ein. Schweizerische Wirtschaftsbetriebe, ukrainische Bildungs- und Forschungseinrichtungen sowie Behörden sind ebenfalls Teil des unterdessen entstandenen Netzwerks. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) unterstützt den Lehrgang administrativ und organisatorisch.
Nächste Durchführung: Oktober 2023
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