
Pinoy Tannin – vielseitig, biobasiert, wirtschaftlich
Die Entwicklung einer nachhaltigen Tanningewinnung auf den Philippinen verbessert die Lebensgrundlage der lokalen Landbevölkerung und ist ein innovatives Modell der Agrarforstwirtschaft, das in anderen Entwicklungsländern weiterverbreitet werden soll.
Dr. Sauro Bianchi, Wissenschaftlicher Mitarbeiter Institut für Werkstoffe und Holztechnologie IWH, BFH
In den Entwicklungsländern sind die Dörfer und ihr tägliches Leben stark von den land- und forstwirtschaftlichen Ressourcen abhängig. Die rasanten anthropologischen, sozialen und wirtschaftlichen Veränderungen der letzten Jahrzehnte stellen die Menschen bei ihrem Lebens- und Wirtschaftsunterhalt vor neue Herausforderungen.
Zum Beispiel die Philippinen: Die Bevölkerung ist von 35 Millionen Personen im Jahr 1970 auf 110 Millionen im Jahr 2019 angewachsen. Etwa 25 Millionen der Philippinen leben im Hochland und sind vom Wald abhängig. Ihr geringes Einkommen stammt hauptsächlich aus konventionellem Holz- und Kokosnusshandel. Wichtig zu wissen ist, dass die Waldfläche von 70 Prozent zu Beginn des letzten Jahrhunderts auf heute weniger als 18 Prozent geschrumpft ist. Es müssen deshalb neue Strategien und Lösungen entwickelt werden.

Mehrwert aus entsorgter Biomasse
Eine verbesserte Lebensqualität für die Landbevölkerung könnte durch die Verwertung von Nebenpodukten bestehender agrarforstlicher Produkte erreicht werden. Konkret: Auf den Philippinen erzeugt der Kokosnussanbau jährlich etwa zehn Millionen Tonnen Abfälle von Kokosnussschalen. Analog ergeben sich bei der Furnier- und Holzproduktion pro Jahr 180 000 m3 ungenutzte Rinde. Diese Biomassen können als Quellen für pflanzliche Tannine aufgewertet werden. Gewonnen werden die Tannine durch einfache Warmwasserextraktionen. Der Prozess ähnelt der Herstellung eines heissen Tees, nur eben in einem viel grösseren Massstab. Tannin, ein natürlicher Gerbstoff, wird heute unter anderem für die Lederherstellung verwendet, kann aber auch als biobasierter Holzklebstoff oder ökologisches Holzschutzmittel genutzt werden. Für die Herstellung von Holzklebstoffen und Leder werden jährlich 1000 Tonnen Gerbstoffe in die Philippinen importiert. Das Interesse an einer lokalen Tanninproduktion ist daher sehr gross.
Um die wissenschaftlichen, technologischen und sozioökonomischen Grundlagen, die für eine Umsetzung der Tanningewinnung in den philippinischen Hochlanddörfern erforderlich sind, zu analysieren und zu entwickeln, hat die BFH im Juni 2018 das Projekt Pinoy Tannin (Pinoy = philippinisch im lokalen Slang) initiiert. Dauern wird es bis Mai 2022.
Am interdisziplinären Projekt forschen zwei Departemente der BFH: das Departement für Architektur, Holz und Bau BFH-AHB sowie die Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften BFH-HAFL. Nebst der BFH sind das philippinische Forest Product Research and Development Institute, die Philippine Coconut Authority (PCA) und die Visayas State University beteiligt. Steuerungspartner sind die philippinische Abteilung für Umwelt und Landwirtschaft sowie jene für Kommerz und Industrie, das Non-Timber Forest Products Exchange Programme sowie Vertreterinnen und Vertreter der lokalen Industrie.
Das Projekt wird vom Swiss Programme for Research on Global Issues for Development (r4d programme) unterstützt.

Holistisches Konzept für eine effektive Umsetzung
Versuche, die Tanninproduktion bei den lokalen Bevölkerungsgruppen in Südostasien zu etablieren, waren in den letzten 20 Jahren erfolglos. Möglicherweise wegen der fehlenden Beteiligung der wichtigsten Akteure im Markt – der Plantagenbesitzer und Tannin-Endanwender – sind sie jeweils in der Umsetzungsphase gescheitert. Deshalb zielt das BFH-Projekt auf einen globalen Lösungsansatz, der die gesamte Wertschöpfungskette des tanninbasierten Produkts berücksichtigt. Zu diesem Zweck werden folgende Ziele verfolgt: a) Identifizierung geeigneter Tanninquellen, b) Entwicklung einer kostengünstigen und umweltfreundlichen Extraktionstechnologie, c) Analyse nachhaltiger agroforstwirtschaftlicher Praktiken, d) Identifizierung einer effektiven Markteintrittsstrategie, e) Dialog mit lokalen politischen Akteuren und industriellen Stakeholdern.
Die vorgesehenen Projektergebnisse wirken sich auf drei Ziele der UN-Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung aus: nachhaltiges Management der natürlichen Ressourcen, die Erhöhung der Aufforstung und Wiederaufforstung und die Standardisierung von Klein- und Mittelunternehmen.
Sperrholz: 100% natürliche und lokal
Seit Projektbeginn wurden vielfältige Resultate erzielt. Mittels Screening von mehr als 30 verschiedenen potenziellen Biomassen wurden die Kokosnussschale und die Rinde von fünf weitverbreiteten Baumarten als die vielversprechendsten Tanninquellen identifiziert. Eine 1,75 Hektar grosse Pilotplantage mit solchen Tanninquellen wurde initiiert, und die Wachstumsdynamik der Setzlinge wird derzeit untersucht. Die BFH hat zusammen mit den Partnern vor Ort eine Demonstrationsanlage zur Tanninextraktion aufgestellt. Betrieben wird die Anlage mithilfe günstiger und erneuerbarer Solarenergie. Weiter haben die Forschenden im Labor vor Ort erfolgreich Sperrholzproben hergestellt, die diese lokalen Tannine als Klebstoff verwenden. Die Formulierung der tanninbasierten Klebstoffe wird weiter optimiert.
Der kontinuierliche Dialog mit den philippinischen Verantwortlichen, internationalen Agenturen und der Schweizer Botschaft auf den Philippinen wurde etabliert. Einige Holzklebstoffproduzenten auf den Philippinen wurden ebenfalls angesprochen und arbeiten jetzt aktiv am Projekt mit. Als Endziel des Projekts dienen die Versuchsergebnisse dem Aufbau einer künftigen abfallfreien Kokosnuss-Fabrik, in der die gesamte Kokosnuss oder Holzstämme verwertet werden.
Aufgrund der erfolgreichen Entwicklungen sind die Erwartungen an das Pinoy-Tannin-Projekt hoch, und seine Möglichkeiten vielfältig. Die nächsten Schritte in der Umsetzung der Ergebnisse im lokalen Umfeld werden entscheidend sein.

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