
Richtung neue Wertschöpfungskette in der Forst- und Holzwirtschaft
Mit einer Pilotanlage zur Gewinnung von Extrakten aus heimischer forstlicher Biomasse setzen die BFH und die Schilliger Holz AG einen Meilenstein auf dem Weg zu einer neuen Wertschöpfungskette für die Forst- und Holzwirtschaft. Erstmalig können Extrakte in ausreichender Menge und Qualität zur Applikationsentwicklung mit hohem Technologiereifegrad erzeugt werden. Zudem werden Extraktionsprozesse auf Pilotstufe überprüft. Ziel ist das Hochskalieren der Prozesse in den Industriemassstab.
Ingo Mayer, Professor für Holzchemie und Materialemissionen, BFH
Vom Labor bis zur Industriereife
Ausgehend vom NFP66-Projekt «TannEx» (Projekt Nationales Forschungsprogramm Holz) haben Forschende der BFH in den Jahren 2015 bis 2018 erstmalig die chemische Zusammensetzung der Extrakte heimischer Nadelholzrinden aufgeklärt und Einflüsse der Extraktionsparameter auf die chemische Zusammensetzung der Extrakte ermittelt. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass eine ökonomisch rentable Gewinnung von Holzinhaltsstoffen aus der Rinde und dem Holz heimischer Nadelhölzer (Fichte, Tanne, Kiefer, Lärche), aber auch einzelner Laubhölzer wie Edelkastanie und Eiche auf Basis einer Heisswasserextraktion möglich ist. Eine Reihe von Produkten für unterschiedliche Märkte wurden seitdem auf Basis solcher Extrakte im Rahmen von Innosuisse-Projekten an der BFH entwickelt bzw. sind aktuell in Entwicklung. Die Validierung der Applikationen im Pilotmassstab scheiterte bislang aber meist an der nicht in ausreichender Menge und Qualität gegebenen Verfügbarkeit der Extrakte aus geeigneten Prozessen. Genau diese Lücke soll die neue Pilotextraktionsanlage schliessen. Die Pilotanlage ist ein gemeinsames Infrastrukturprojekt der Berner Fachhochschule und der Schilliger Holz AG am BFH-Standort Solothurnstrasse in Biel. Das Projekt wird realisiert mit Unterstüztung des Bundesamts für Umwelt BAFU, im Rahmen des Aktionsplans Holz. Die Inbetriebnahme der Pilotanlage ist für Oktober 2020 vorgesehen.
Pilotanlage ist zentrales Element
Die Infrastruktur der Pilotextraktionsanlage selbst dient zur Extraktion forstlicher Biomasse und Reststoffe aus Sägewerksprozessen im Pilotmassstab. In wässrigen und Lösemittel-basierten Extraktionsprozessen werden vor allem phenolische Inhaltsstoffe (phenolische Monomere sowie kondensierte oligomere Polyphenole, sog. Tannine) gewonnen. Die Kapazität der Anlage erlaubt die Verarbeitung von bis zu 50 kg Biomasse pro Tag zu hochkonzentrierten Extrakten, die in einem nachfolgenden Prozessschritt bis zum pulverförmigen Extrakt getrocknet werden können (Abbildung 1). Weitere Aggregate für die Prozessschritte Zerkleinerung, Dampfexplosion, Membranfiltration, Vakuum- und Sprühtrocknung stehen an der BFH bereits zur Verfügung. Damit existiert an der BFH eine für vielfältige Extraktionsaufgaben für forstliche Biomasse sowie für Agrarbiomasse nutzbare Infrastruktur, die einzigartige Möglichkeiten für die Prozessüberprüfung und Produkterzeugung im Pilotmassstab bietet. Dadurch kann sich die BFH sowohl als wissenschaftlich kompetente Partnerin in der Forschung und Entwicklung als auch als Standort für die Entwicklung und das Hochskalieren von Prozessen mit hoher Technologiereife national und international noch besser als bisher positionieren.
Hohe Prozessflexibilität und leichte Skalierbarkeit
Bei der Realisierung der Anlage greifen die Projektpartner auf die langjährige Kompetenz des Anlagenherstellers DEVEX GmbH zurück, der die Vorgaben der BFH in geeigneter Form umsetzen kann. Dabei wurde einerseits auf eine hohe Prozessflexibilität geachtet, um eine breites Spektrum an Rohstoffen bei den jeweils geeigneten Prozessparametern verarbeiten zu können. Hier wurde an der BFH in den vergangenen Jahren ein einmaliges Know-how aufgebaut, das die Verarbeitung der Rohstoffe unter Gewährleistung der gewünschten Produktqualitäten erlaubt. Andererseits war die möglichst einfache Skalierbarkeit der Prozesse für industrielle Produktionsanlagen wichtig. Dies kann die Pilotextraktionsanlage dank einem technischen Aufbau gewährleisten, der übereinstimmend ist mit demjenigen viel grösserer Industrieanlagen.
Produkte und Anwendungsmöglichkeiten
Mit den nachhaltig gewonnenen Extrakten (Abbildung 2) und den darin enthaltenen phenolischen Verbindungen können eine Reihe synthetischer ölbasierter Verbindungen in unterschiedlichen Anwendungen substituiert bzw. neue voll biobasierte Systemformulierungen bereitgestellt werden:
– Substitution von Phenol in Phenol-Formaldehyd-Harzen
– Tannin-basierte und Formaldehyd-freie duroplastische Bindemittel für die Holzwerkstoffherstellung und weitere Anwendungsbereiche
– Substitution von Polyolen in Polyurethan-Systemen
– Tannin-basierte Harze für Composite Materials mit hohem Brandwiderstand
– Substitution synthetischer Biozide oder Biostatika in unterschiedlichen Anwendungen durch bioaktive phenolische Extrakte
– Einsatz der Extrakte als pflanzliche Gerbstoffe in der Ledergerbung
– Einsatz der Extrakte als bioaktive Additive in der Tierfütterung

Neue Wertschöpfungskette mit hohem Potenzial
Durch die Stärkung der Verbindung zwischen der Forst- und Sägewirtschaft und dem Bioraffineriesektor sowie durch die grosse Bandbreite an möglichen Anwendungen besteht ein grosses Marktpotenzial in der Schweiz und im europäischen Umfeld. Verteilt auf die Bereiche Waldwirtschaft, Sägewirtschaft, Extraktstofferzeugung und die nachfolgenden Anwendungsfelder sowie unter Berücksichtigung einer möglichen Mobilisierung bislang unternutzter forstlicher Biomasse wird das jährliche Wertschöpfungspotenzial im EU-Raum auf bis zu eine Milliarde Euro geschätzt. Bei weiterer Entwicklung von Anwendungen, die auf der bioaktiven Wirkung der Extraktstoffe beruhen, ist mit einem noch grösseren Marktpotenzial zu rechnen.
Infos zum Institut für Werkstoffe und Holztechnologie IWH und zur Schilliger Holz AG