Rohstoffe effizienter einsetzen

Automatisierte Abläufe sorgen in der Holzwerkstoffindustrie für hohe Produktivität. Inzwischen hat die Automatisierung indes nicht mehr primär eine weitere Rationalisierung zum Ziel, sondern vor allem den effizienteren Einsatz des Rohstoffs. Daran forscht ein BFH-Team gemeinsam mit einem Wirtschaftspartner.

Die Holzwerkstoffindustrie beeindruckt durch ihre schiere Grösse: So werden weltweit pro Jahr über 300 Mio. m3 Möbel- und Bauplatten produziert. Allein am Standort Menznau im Kanton Luzern verarbeitet die Swiss Krono AG täglich 60 Lkw-Ladungen Holz aus heimischen Wäldern zu Faser- und Spanplatten. Und das mit gerade einmal einem Dutzend Mitarbeitenden je Schicht. Möglich wird dieses hohe Produktivitätsniveau durch eine konsequente und seit Jahrzehnten betriebene Automatisierungsstrategie.

Störende Schwankungen

Bei der Automatisierung geht es längst nicht mehr primär um eine weitere Rationalisierung, sondern vielmehr um einen möglichst effizienten Rohstoffeinsatz. Dazu muss man wissen: Beim Einsatz von natürlichen Rohstoffen lassen sich Schwankungen im Ausgangsmaterial kaum vermeiden. Ohne Gegenmassnahmen finden sich diese Variationen dann auch in den Produkteigenschaften. Um aber mit ausreichender Wahrscheinlichkeit mit jeder einzelnen Platte oberhalb der geforderten Minimalqualität zu liegen, sind Sicherheitsmargen vorzusehen. Der überwiegende Teil der hergestellten Platten verfügt also über Eigenschaften, die eigentlich nicht benötigt und letztendlich auch von niemandem bezahlt werden. Ziel der modernen Prozesssteuerung bei der Holzwerkstoffproduktion ist es nun, Schwankungen automatisch auszugleichen. Im einfachsten Fall geschieht dies mithilfe einfacher Regelkreise. 

Faser- und Spanplatten einschliesslich Ausgangsmaterial.

Faser- und Spanplatten einschliesslich Ausgangsmaterial.

Faser- und Spanplatten einschliesslich Ausgangsmaterial.

Faser- und Spanplatten einschliesslich Ausgangsmaterial.

Mathematisch-physikalisches Modell 

Viel effektiver sind modellbasierte Automatisierungsstrategien, insbesondere wenn die Regelgrösse nicht unmittelbar messbar ist. Voraussetzung ist allerdings ein Modell, das den realen Prozess in ausreichender Genauigkeit abbildet. Ein solches mathematischphysikalisches Modell für den industriellen Heisspressvorgang von Span- und Faserplatten wurde zunächst an der Oregon State University (USA) und der Universität Hamburg (DE), unterstützt durch die Firma Siempelkamp aus Krefeld (DE), die weltweit führende Anlagenbauerin in dieser Branche, entwickelt. Seit 2010 wird es an der Berner Fachhochschule BFH ausgebaut. Mithilfe dieses Modells lässt sich bei gegebenen Prozesseinstellungen die Entwicklung wichtiger Variablen wie Temperatur, Gasdruck oder Materialdichte und, in Ansätzen, sogar der Plattenfestigkeiten simulieren. Diese Grössen lassen sich im industriellen Prozess, wenn überhaupt, nur mit grossem Aufwand messen und liegen anschliessend erst mit erheblicher zeitlicher Verzögerung vor. Der Vorteil eines mathematischen Modells liegt auf der Hand: Informationen über das gerade gefertigte Produkt sind ohne Zeitverzug verfügbar, und auf Abweichungen von geforderten Werten kann direkt reagiert werden.

Potenzial nutzen

Das Potenzial für die modellbasierte Automatisierung in der Holzwerkstoffindustrie ist gross. Selbst wenn durch eine Reduzierung der Schwankungen nur zwei Prozent der Rohstoffe eingespart werden, so führt die blosse Grösse der Produktion zu einem beeindruckenden Hebeleffekt: Einsparungen von sechsstelligen Frankenbeträgen pro Jahr und Produktionslinie sind durchaus realistisch. Sicherlich eine gute Motivation für Industrie und Forschung, die modellbasierte Automatisierung industrieller Prozesse weiter voranzutreiben – auch in der Holzwerkstoffindustrie.

Prof. Dr. habil. Heiko Thömen
Professor für Holzwerkstofftechnologie Leiter Kompetenzbereich Verbundwerkstoffe und Möbelentwicklung