Schöne neue Arbeitswelt: Arbeiten im digitalen Zeitalter

Technologien sind nicht neutral, sondern werte- und interessenbasiert: Sie verändern die Art und Weise, wie wir denken, kommunizieren und arbeiten. Im Rahmen des CODIMAN-Projekts erforschen wir die die Rolle der Cobotik für die Transformation der Arbeit.

Dr. Sarah Dégallier Rochat, Robotikforscherin, Institute for Human Centered Engineering HuCE, BFH-TI

Dr. Nada Endrissat, Arbeits- und Organisationswissenschaftlerin, Institut New Work, BFH-W

Kollaborative Roboter, oder Cobots, ermöglichen neue Formen der Interaktion zwischen Mensch und Maschine in der Industrie. Diese Roboter verfügen über Sicherheitssysteme zur Erkennung unerwarteter Kontakte. Der Arbeitsraum kann daher auf sichere Weise mit Arbeitenden geteilt werden. Die einzelnen Schritte einer Aufgabe können zwischen dem Roboter und dem Menschen aufgeteilt werden, so dass eine Teilautomatisierung der Aufgabe möglich ist. Typischerweise übernehmen Cobots sich wiederholende, anstrengende oder gefährliche Arbeitsschritte. Der Mensch hingegen übernimmt jene Tätigkeiten, die Geschicklichkeit, Know-how oder Flexibilität erfordern. Richtig eingesetzt, kann diese Technologie den Wert der Arbeit für die Mitarbeitenden steigern, da undankbare Schritte dem Roboter überlassen werden. Gleichzeitig ermöglicht dies auch eine Produktivitätssteigerung. Eine neue Technologie, die sowohl die Arbeitnehmenden als auch die Arbeitgeber zufrieden stellt – was könnte besser sein?

Die quantitative Verzerrung: die mechanistische Sichtweise

Leider zeigt uns die Geschichte, dass technologische Lösungen, die zunächst positiv scheinen, manchmal unerwartete Konsequenzen haben können. Zeit- und Bewegungsstudien sind beispielsweise Teil eines Optimierungssystems von Arbeitsprozessen, das auf dem Taylorismus beruht. Bewegungen werden genau analysiert, um den optimalen Prozessablauf zu bestimmen, indem man die Produktionszeit, aber auch die Arbeitsbelastung reduziert. Ziel ist es, die Produktivität zu steigern und gleichzeitig bessere Arbeitsbedingungen zu ermöglichen. Diese Methode mag kurzfristig zwar gute Ergebnisse hervorbringen, langfristig kann sie jedoch zu Muskel-Skelett-Erkrankungen, mangelndem Interesse an der Arbeit und hoher Personalfluktuation führen: Dies hat nicht nur eine Verschlechterung der Arbeitsqualität, sondern auch zusätzliche Kosten für die Unternehmen zur Folge.

Dieser mechanistische Ansatz lässt einen wesentlichen Faktor ausser Acht: den Menschen. Die Theorie der Arbeitsmotivation betont, wie wichtig eine vielfältige, abwechslungsreiche und als sinnvoll empfundene Arbeit ist und wie bedeutsam die Erfahrungen von Autonomie und Feedback sind. Diese Faktoren führen nicht nur zu einer Verbesserung der Qualität von Arbeit, sondern auch zu einer höheren Arbeitsqualität. Diese qualitativen oder soften Faktoren bleiben jedoch oftmals unberücksichtigt, weil ihr Einfluss auf die Produktivität nicht eindeutig nachweisbar ist. Gleichzeitig ist diese Vernachlässigung auch Ausdruck der Dominanz des mechanistischen Ansatzes unserer Gesellschaft. Wie es eines der bekanntesten Management-Mottos besagt: «What you can’t measure, you can’t manage». Was wir nicht messen können, können wir nicht beeinflussen. Dies führt dazu, dass komplexe Sachverhalte oftmals auf messbare oder quantifizierbare Aspekte reduziert werden. Ungeachtet der Tatsache, dass dies zu Lasten der tatsächlichen Komplexität von menschlicher Arbeit geschieht.

Die Dystopie – oder für einige die Utopie – einer Welt, in der Roboter an unserer Stelle arbeiten, beruht zum Teil auf dieser verzerrten Sichtweise. Roboter sind sicherlich schneller, leistungsfähiger, präziser usw. – alles quantifizierbare, messbare Eigenschaften –, aber Roboter haben keinen kritischen Verstand, sie bringen nichts Neues hervor, sie interpretieren nicht, sie schaffen keinen Sinn. Indem wir uns auf die messbaren Aspekte der Arbeit konzentrieren, vergessen wir die rein menschlichen Fähigkeiten, die uns einzigartig und unersetzlich machen. Etwa die Fähigkeit, technologische Artefakte zu schaffen, um unsere Grenzen zu überwinden: zum Beispiel Roboter, die kräftiger, schneller und präziser sind als wir. Ihre Fähigkeiten sind mit Absicht komplementär zu den unsrigen konzipiert. Die kollaborative Robotik zielt denn auch darauf ab, diese Komplementarität durch Teilautomatisierung zu optimieren. Mit welchen Folgen für die Menschen?

Eine humanistische Auffassung von Technologie

Um diese Frage zu beantworten, müssen wir den Menschen in den Mittelpunkt der technologischen Konzeptionen stellen. Unsere Beziehung zur Technologie ist die Folge einer sozialen Konstruktion. Sie hängt von unserem soziokulturellen Umfeld und unserer Persönlichkeit ab. Sie entwickelt sich mit der Zeit, mit unserer Erfahrung. Um die Akzeptanz und die Auswirkungen der Technologie auf die Menschen zu untersuchen, müssen wir daher nicht nur die Bedürfnisse der Anwenderinnen und Anwender berücksichtigen, sondern auch deren subjektiven Erfahrungen, die sie der Interaktion beimessen.

Im Projekt «A Future That Works: Cobotics, digital skills and the re-humanization of the workplace» (abgekürzt CODIMAN), das vom Nationalen Forschungsprogramm 77 (NFP77) des SNF unterstützt wird, wollen wir ein kollaboratives Robotiksystem entwickeln, das eine (Wieder-)Aufwertung von Montagearbeit ermöglicht. Zu diesem Zweck betrachten wir Technologie nicht nur als ein Produktionsmittel, sondern auch als ein kulturelles Artefakt. Genauer gesagt, schlagen wir eine doppelte Sicht vor: die unmittelbare Beziehung zur Technologie – ihren Nutzen – und die fortschreitende Veränderung der Bedeutung dieser Beziehung im Laufe der Zeit.

Im Rahmen des Projekts, das in Zusammenarbeit mit dem Forschungsinstitut IDIAP in Martigny durchgeführt wird, haben sich drei Industriepartner bereit erklärt, uns ihre Türen zu öffnen, um eine Längsschnittstudie über vier Jahre durchzuführen. Die zu automatisierenden Aufgaben sind repetitiv, haben einen geringen Mehrwert und binden wertvolle menschliche Ressourcen, die für kritischere und lohnendere Aufgaben eingesetzt werden könnten.

Um eine Lösung zu entwickeln, die die unmittelbare Beziehung zur Technologie – ihren Nutzen – optimiert, werden die Benutzerzielgruppen von Anfang an in die Entwicklung der cobotischen Schnittstelle integriert. Dabei geht es um die Identifizierung der Bedürfnisse, die partizipative Konzeption der Schnittstelle und schliesslich um die Test- und Verbesserungsphasen.

Parallel dazu wird der Wandel der Beziehung zur Technologie, ihre Bedeutung, durch die Sammlung kritischer Zwischenfälle, positiver oder negativer Art, dokumentiert: ein Tagebuch, in dem die Mitarbeitenden ihre alltäglichen Eindrücke in Form von Fotos mitteilen können. Diese Impressionen von Alltagserfahrungen werden dann in Interviews reflektiert, um ein besseres Verständnis für die Auswirkungen der Technologie auf die Menschen zu erhalten.

Durch diese doppelte Sichtweise hoffen wir, ein besseres Verständnis für die wechselseitige Beziehung zwischen Mensch und Maschine zu entwickeln. Dazu zählt beispielsweise, wie Menschen die Einschränkungen der Maschine für sich nutzbar machen und überwinden. Durch diesen Fokus wollen wir eine technologische Sichtweise tragbar machen, die die Aufwertung und Humanisierung von Produktions- und Industriearbeit für den Menschen ins Zentrum stellt.

Besuchen Sie «Biel/Bienne 4.0»

Die Berner Fachhochschule stellt im Rahmen der Ausstellung Biel/Bienne 4.0 einen kollaborativen Roboter (cobot) aus. Besucherinnen und Besucher haben die Möglichkeit, diesem cobot Aufgaben beizubringen und erhalten so einen Einblick in die Zukunft unserer Arbeitsabläufe. Zudem können Besuchende an einer Umfrage zur Qualität und dem Sinn ihrer heutigen und zukünftigen Arbeit teilnehmen. Die anonymen Antworten helfen die Auswirkungen von Robotern auf die Arbeitskultur und -erfahrung zu analysieren und Robotiklösungen für die Zukunft zu entwickeln. 

26.9.2020 bis 3.1.2021 – NMB Neues Museum Biel, Seevorstadt 52, 2501 Biel

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