
Spannend ist, was anders ist
«Es braucht Vielfalt, Identität und Öffentlichkeit.» Im Interview spricht Götz Datko, Stadtplaner im Büro Kontextplan und BFH-Dozent, über die Gestaltung attraktiver Zentren.
Legende zum Headerbild: «Der neu gestaltete Tessinerplatz in Zürich – ein gutes Beispiel für einen städtischen Raum voller Aneignung.» Foto: Ronald Stocker, www.rsagold.com
Herr Datko, welches Stadtzentrum in der Schweiz gefällt Ihnen besonders?
Götz Datko: Spontan würde ich Schaffhausen nennen. Dort ist die Altstadt immer noch das Stadtzentrum. In manch anderen Städten findet das Leben inzwischen ja ausschliesslich in den Neustädten statt, während die Altstädte zu Wohnrelikten werden. In Schaffhausen sind Läden, grosse Filialen und Restaurants in der Altstadt. Das lockt die Leute an. Zudem gibt es neben den Hauptgassen auch viele kleine Seitengassen und Nischen, wo man viel Besonderes entdecken kann.
Wie steht es grundsätzlich um die Attraktivität von Schweizer Stadt- und Gemeindezentren?
Schwierig, das so allgemein zu sagen. Grundsätzlich gibt es zwei Tendenzen: Die einen klagen über Leerstände und das «Lädeli»-Sterben, also über das Verwaisen der Innenstädte. Bei den anderen werden die Fussgängerzentren von Leuten überrannt, sodass die Mieten explodieren und sich nur noch die grossen Player Filialen leisten können. Das führt zu einer gewissen Austauschbarkeit.
Welche Rolle spielen Zentren heute?
Heute gehen die Menschen immer weniger in Zentren, weil sie etwas brauchen. Das neue Hemd kann man im Einkaufszentrum am Stadtrand oder online kaufen. Die Leute besuchen Innenstädte, um etwas zu erleben, ihre Freizeit zu verbringen. Sehen und gesehen werden, Geselligkeit, Begegnung, Anreize, Austausch: Das sind wichtige Aspekte.
Wie muss man ein Zentrum denn gestalten, damit es zum Erlebnisort wird?
Zum einen braucht es eine grosse Nutzungsvielfalt. Neben Restaurants und Läden muss es auch kulturelle Angebote, bunte Freizeitangebote, Veranstaltungen oder Bildungsangebote geben. Zum andern sollte der Ort zum Spazieren, Verweilen und Spielen einladen. Und zu einem attraktiven Zentrum gehören auch Geschichte und Identität. Hinzu kommen individuelle Traditionen.
Was heisst das?
Viele unserer Stadtzentren sind über eine lange Zeit gewachsen. Sie wurden nicht im Krieg zerstört und mussten deshalb auch nicht neu aufgebaut werden. In einem attraktiven Zentrum spürt man diese gewachsene Identität. Man kann diese sichtbar und erlebbar machen, vielleicht auch neu interpretieren.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Darf ich einen Blick ins Ausland wagen?
Gibt es denn in der Schweiz nicht genügend gute Beispiele?
Doch, natürlich. Aber in Salzburg kommt Geschichte besonders zur Geltung. Dort hat die Trachtenmode eine lange Tradition. Die Altstadt ist vom Massentourismus überlaufen, daneben gibt es aber immer noch traditionelle Anbieter solcher Trachten. Diese wurden nun besser sichtbar gemacht: mit verstärktem Marketing, mit Texten in lokalen Magazinen, mit Veranstaltungen und Modeshows. Jetzt interessieren sich die Leute wieder mehr für die Trachtenmode, und die Innenstadt gewinnt damit an Attraktivität.
Was braucht es noch für ein attraktives Zentrum?
Die Öffentlichkeit. Zentren sind Orte, die der gesamten Bevölkerung gehören, an denen alle etwas machen können. Demgegenüber ist ein Shoppingzentrum ein privater Raum, in dem die Regeln des Anbieters gelten. Um es überspitzt zu sagen: Auch Demonstrationen gehören zu einer lebendigen Innenstadt, genauso wie Strassenmusikanten oder Skateboarder. Veranstaltungen, Konflikte und Reibungen machen den Ort auch spannend. Ich mag den Satz: «Spannend ist, was anders ist.» In lebendigen Innenstädten gibt es stets Reize durch unterschiedlichste Menschen und Angebote.

Was raten Sie den Behörden für die Gestaltung attraktiver Zentren?
Zentrumsentwicklung wird durch viele Akteure beeinflusst, der direkte Einfluss der Behörden ist oft kleiner, als man denkt. Deshalb ist bei der Innenstadtentwicklung vor allem ein kooperativer Prozess wichtig. Das heisst: Ich muss Workshops und Arbeitsgruppen organisieren, in denen alle Beteiligten am Tisch sitzen und Ziele gemeinsam festlegen – Bewohner, Geschäftsbesitzer, Gastronominnen, Eigentümerinnen, Behörden. Ich als Stadtplaner moderiere diesen Prozess und liefere Ideen und Inputs, etwa zu attraktiven Angeboten, zu den Bedürfnissen der Bevölkerung und zu deren Freizeitverhalten. Wenn alle am selben Strang ziehen, bringt das die besten Ergebnisse. In Schaffhausen zum Beispiel gibt es neuerdings die Website «Bock drauf», auf der sich alle Beteiligten zusammengeschlossen haben. Das schafft Beachtung.
Es geht also gar nicht so sehr um die konkrete Gestaltung?
Natürlich ist die Gestaltung der Gebäude, der Plätze und des Freiraums wichtig. Aber die Leute interessiert oft viel mehr die Frage: Was könnte ich in der Innenstadt Besonderes erleben? Und da ist die Nutzungsentwicklung zentral. Da spielt es dann eben zum Beispiel eine wichtige Rolle, ob es nur die immer gleichen grossen Geschäfte gibt oder auch die kleinen, inhabergeführten Läden mit eigenem Charakter.
Gelten diese Regeln auch für die Entwicklung anderer Zentren wie Shoppingmalls, Wohnüberbauungen oder ehemalige Industrieareale?
Ja, dort ist es ähnlich. Es ist aber etwas einfacher als bei Innenstädten, weil nicht die gesamte Stadtgesellschaft angesprochen werden muss. Hier empfehle ich häufig die Schaffung eines ganz spezifischen Angebots. Das ist dann zwar für weniger Leute interessant, aber für die dafür ganz besonders. Beispielsweise begleite ich aktuell die Transformation des Landis&Gyr-Areals vom Industrieareal hin zum lebendigen Stadtteil direkt beim Bahnhof in Zug. Die Entwicklung folgt der Idee «Sinne und Begegnung». Begegnungen werden durch passende Nutzungen und Freiraumgestaltung konsequent gefördert und gleichzeitig mit positiven Sinneseindrücken – etwa in Form von Kunstobjekten – angereichert.
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