«Transparent machen, weshalb es welche Brandschutzmassnahmen braucht»

Isabel Engels ist Professorin für Brandschutz an der Berner Fachhochschule BFH. Die Brandschutzexpertin leitet auch das Team, das sich mit der laufenden Revision der Brandschutzvorschriften befasst. Im Interview spricht sie über Brandschutz und gute Architektur, über die Verhältnismässigkeit von Brandschutzmassnahmen sowie über den gesellschaftlichen Umgang mit Risiken.

Isabel Engels, im Holzbau galten strenge Brandschutzvorschriften lange als grosse Einschränkung. Ist heute alles anders?

Früher war für das Sicherheitsniveau beim Bauen der Unterschied zwischen brennbaren und nicht brennbaren Baustoffen zentral. Doch Untersuchungen im Rahmen der Revision von 2015 haben gezeigt, dass die Bauweise keinen Einfluss aufs Brandrisiko hat. Deshalb ergibt es Sinn, dass die Brandschutzvorschriften heute materialneutral sind – auch weil das Gebäude eine gewisse Sicherheit unabhängig von der Bauweise bieten soll. Das heisst zum Beispiel: Wände müssen nicht mehr immer nicht brennbar sein, sondern über einen genügenden Feuerwiderstand verfügen. Konkret bedeutet das: Eine Wand ist ausreichend sicher, wenn es 30 Minuten dauern würde, bis Hitze und Rauch von einer Seite zur anderen vordringen – in den meisten Fällen hat dieser Widerstand nichts mit dem Baustoff zu tun, sondern hängt von der Konstruktion ab. So wurde es unter anderem möglich, hohe Gebäude in Holz zu bauen.

Hätte man die Brandschutzvorschriften nicht schon früher anpassen können?

Nein, ich denke, 2015 war der richtige Zeitpunkt. Zum einen hat sich der Holzbau stark weiterentwickelt, und es wurden auch viele Untersuchungen gemacht. Die neuen Vorschriften waren dann der logische Schritt aus diesen Entwicklungen. Kommt dazu: Die Baubranche musste auch bereit sein für diesen Wandel. Neue Vorschriften müssen auch umgesetzt werden können.

Welches Gewicht hat der Brandschutz an der BFH?

Bei der Kundschaft von Architekt*innen und Holzbauingenieur*innen, die wir aus- und weiterbilden, ist das Sicherheitsbedürfnis gross. Deshalb ist der Brandschutz ein wichtiger Teil der Grundausbildung geworden. Besonders bei den Architekt*innen, denn sie sollen lernen, den Brandschutz bereits im Entwurf zu integrieren. Und: Wenn Brandschutz von Anfang an mitgedacht wird, verhindert er schlechte Architektur.

Welche Rolle spielt der Brandschutz in der Weiterbildung?

Da hat er schon länger grosses Gewicht, und wir haben ein breites Lehrangebot. Dieses wird vor allem von Architekt*innen und Holzbauer*innen genutzt, die während ihres Berufsalltags immer häufiger mit Brandschutz konfrontiert werden.

Sie leiten das Projektteam, das sich zurzeit mit der nächsten Überarbeitung der Brandschutzvorschriften befasst. Wird es wieder zu so grundlegenden Änderungen kommen wie 2015?

Fürs Bauen wird es wohl keinen Quantensprung geben wie 2015. Heute kennen wir präskriptive Vorschriften und arbeiten für den Grossteil der Gebäude gewissermassen eine Checkliste ab. Neu soll viel transparenter werden, weshalb es welche Brandschutzmassnahmen braucht, und die Risikoorientierung soll verstärkt werden. Nehmen wir zum Beispiel ein Spital. Da sind zusätzliche Massnahmen nötig, da bei einem Brandfall das Risiko für Menschen, die nur eingeschränkt mobil sind, höher ist. Gelingt es uns, transparenter zu kommunizieren, warum es was braucht, werden Brandschutzmassnahmen besser verstanden und akzeptiert werden. Heute werden sie häufig als unnötig und teuer empfunden.

Also: Wie teuer sind Brandschutzmassnahmen?

Man spricht grob geschätzt von fünf und zehn Prozent der Bausumme. Doch so genau beziffern lässt sich das nicht. Dazu fehlen zuverlässige und vergleichbare Daten.

Bedeutet guter Brandschutz, dass für die Nutzer*innen gar kein Risiko mehr besteht?

Null Risiko gibt es nicht – auch nicht im Brandschutz. Es ist wie im Strassenverkehr: Ein gewisses Risikoniveau wird akzeptiert. Die finanziellen Mittel, die man für noch mehr Sicherheit einsetzen kann, sind begrenzt. Deshalb müssen die geforderten Massnahmen verhältnismässig sein.

Und wer entscheidet, was verhältnismässig ist und was nicht?

Verhältnismässigkeit bedeutet, dass die Kosten für eine Brandschutzmassnahme einem Nutzen, also einer Risikominimierung gegenüberstehen müssen. Wurde in einem Gebäude bereits ein gewisses Sicherheitsniveau erreicht, dann müssen weiterhin alle Brandschutzmassnahmen realisiert werden, deren Kosten den festgelegten Grenzwert für die Kosten zur Rettung eines zusätzlichen Menschenlebens nicht überschreiten. Unverhältnismässig wäre es hingegen, eine Sprinkleranlage zu verlangen, wenn eine ausreichende Risikoreduktion auch mit der Ausstattung von Handfeuerlöschern erreicht werden kann. Das bedeutet auch, dass bei Bestandesbauten ein anderes Sicherheitsniveau akzeptabel ist als in einem Neubau. Allerdings muss das minimale Sicherheitsniveau in jedem Fall eingehalten werden.

Mit wie viel Risiko wir zu leben bereit sind, ist letztlich eine gesellschaftliche Frage. Wie wird diese bei den Brandschutzvorschriften ausgehandelt?

Es wurde mit unterschiedlichen Stakeholder*innen über einen längeren Zeitraum ein sogenannter Definitionsprozess durchgeführt, bei dem Akzeptanzkriterien festgelegt wurden. Das führte dazu, dass das tragbare Risiko schliesslich an jenes in anderen Bereichen angepasst wurde. Zum Beispiel jenes bei den Naturgefahren. Das Risiko, das wir als Gesellschaft bereit sind einzugehen, sollte in allen vergleichbaren Lebensbereichen gleich gross sein. Deshalb wurde auch ein Mass für die Effizienz von Brandschutzmassnahmen definiert.

Isabel Engels
Professorin für Brandschutz, Institut für Holzbau, Tragwerke und Architektur IHTA, BFH