
Unternehmensführung: digitale Transformationen erfolgreich umsetzen
Wie können mittelständische Unternehmen die Stolpersteine der digitalen Transformation erfolgreich überwinden? Ein interdisziplinäres Team der Berner Fachhochschule BFH entwickelte die Digital Transformation ToolBox. Sie bietet pragmatische, konkrete, kundenspezifische und effiziente Lösungsansätze.
In der Schweiz liegen mittelständische Unternehmen hinter den eigenen Ansprüchen in Bezug auf die digitale Transformation und den internationalen Wettbewerb zurück. Trotz unzähligen privaten sowie staatlichen Initiativen scheinen die PS nicht auf die Strasse zu kommen.
Bewusst werden Ängste geschürt: «Falls Sie jetzt nicht schnell agieren, steht der Fortbestand Ihres Unternehmens auf dem Spiel.» Das Ziel ist klar: die Verantwortlichen zum Handeln zu drängen. Nicht selten ist das Ergebnis ein techno-chauvinistisches Verhalten. Technokratisch glaubt man, mit der Anwendung neuer Technologie wie Artificial Intelligence Herausforderungen im sozialen System des Unternehmens oder in dessen Strategie kompensieren zu können. Das Mittel wird mit dem Zweck verwechselt. Die Konsequenz sind Einzelprojekte, die bald ihr Budget überschreiten und zu nicht endenden Irrfahrten führen. Gerade für mittelständische Unternehmen mit begrenzten Ressourcen ist dies schmerzlich. Digitale Transformation ist eben nicht eine eindimensionale, technologische Herausforderung.
ToolBox bündelt digitale Kompetenzen
Um die Wirtschaft bestmöglich zu unterstützen, bündeln wir die digitalen Kompetenzen der BFH in einem Gesamtkonzept, der Digital Transformation ToolBox. Es ist unser Ziel, der Mehrdimensionalität der digitalen Transformation gerecht zu werden. Wir wollen Unternehmen noch erfolgreicher machen und sie dort abholen, wo sie stehen. Unser Ansatz besteht aus zwei zentralen Komponenten: einem systematischen Prozess und einer Sammlung von zielgerechten und einfachen Werkzeugen.
Unser Prozess startet mit der Schaffung von Energie für Veränderung (Phase 0). Wir zeigen erfolgreiche Beispiele auf und bieten Inspiration: Was ist möglich? In Phase 1 definieren wir mit unserem Partner den Status quo und bestimmen das Ziel in den Dimensionen Strategie und Geschäftsmodell, Geschäftsprozesse, Organisation und Technologie. Was waren die Gründe für den Erfolg bzw. Misserfolg? Wir hören zu. Nicht jedes Unternehmen steht unmittelbar vor einer Disruption. Im Gegenteil, viele bestehende Geschäftsmodelle sind zukunftsfähig. Sie bedürfen lediglich einer digitalen Verjüngungskur. Hier gilt es, das Gute auszubauen. In Phase 2 kreieren wir Handlungsoptionen und wägen diese gegeneinander ab. Phase 3 beinhaltet die Umsetzung. Alle Aktivitäten haben einen klaren Projektcharakter mit Start- und Endpunkt sowie quantifizierten Messkriterien. Durch Massnahmen der kontinuierlichen Verbesserung kann in Phase 4 weiteres Potenzial entfesselt werden.

BFH-Departemente spannen zusammen
Die Digital Transformation ToolBox ist in einem Gemeinschaftsprojekt zwischen den beiden Departementen Technik und Informatik sowie Architektur, Holz und Bau entstanden. Die Tools und Vorgehensweisen haben wir in Zusammenarbeit mit mittelständischen Unternehmen in der Schweiz erarbeitet. Unser Kompetenzportfolio über die einzelnen Forschungsinstitute umfasst Design Thinking, Business Engineering und Business Modelling, Process Mining, System- und Applikationssoftware, Robotik, Embedded Systems, Artificial Intelligence, Cyber Security, Data Governance und Projektmanagement. Als Forschungsinstitution sind wir unabhängig und nicht profitorientiert. Dies erlaubt es uns, unsere Partnerunternehmen in der Kooperation mit kommerziellen Implementierungspartnern neutral zu unterstützen. So können wir unsere Partner vor kostspieligen Fehltritten schützen. Wir bieten verschiedene Möglichkeiten der Kooperation: vom Studierendenprojekt oder geförderten Forschungsprojekt bis hin zum Dienstleistungsprojekt. Gerne stehen wir für einen weiterführenden Austausch zur Verfügung.
Fallstudie 1: Auftragsfertiger für Beschichtung und Bestückung von Metallplatten
Innerhalb von zwei Wochen haben wir den digitalen Transformationsprozess mit unserem Partner durchlaufen. Schnell war klar, dass das Geschäftsmodell zukunftsfähig ist. Jedoch boten die bestehenden Produktionsprozesse und eingesetzten Technologien grosses Potenzial zur Effizienzsteigerung. Unser interdisziplinäres Expertenteam hat mithilfe der Process-Mining-Methodik organisatorische Ineffizienzen und Schattenprozesse identifiziert und Handlungsoptionen abgeleitet. Die Gesamtproduktion unterteilten wir in einzelne, handhabbare Prozessschritte und Produktionszellen mit definierten Schnittstellen und Taktzeiten. Daraus leiteten wir die System-Requirements ab. Dies war der Schlüssel, um die externen Implementierungspartner effizient zu koordinieren. Die Herstellungskosten (–54 Prozent), die Durchlaufzeiten (–60 Prozent), den Flächenverbrauch (–66 Prozent) und die Rüstzeiten (–72 Prozent) konnten wir dramatisch senken. Zeitgleich ist der Umsatz pro Mitarbeiter um 90 Prozent gestiegen.
Fallstudie 2: Digitale Kette Renovationsfenster – Automatisierung und Datenintegration
Die Quadra Ligna AG ist ein in Basel angesiedeltes KMU, das mit 40 Jahren Erfahrung Fenster in historisch wertvollen Bauten restauriert. Die Originalfenster werden weitgehend erhalten und auf moderne Standards in Bezug auf thermische und Schallisolation gebracht. Das Unternehmen hat gemeinsam mit uns einen Schritt in Richtung Digitalisierung und Automatisierung gemacht.
Es wurde eine Lösung zur Vereinfachung der Massaufnahme, der Datendurchgängigkeit und der automatischen Bearbeitung umgesetzt. Neu werden Fenstermasse mithilfe einer App aufgenommen und ohne aufwendige Konvertierungen direkt an einen Roboter für die automatisierte Ausglasung weitergeleitet. Dadurch wurden die Taktzeiten einiger Arbeitsschritte um bis zu 75 Prozent reduziert und die Profitabilität gesteigert. Das KMU kann nun vorhandene personelle Ressourcen gezielter einsetzen und so dem Fachkräftemangel entgegenwirken.
Siehe dazu auch den Artikel «Unternehmensführung – digitale Transformation erfolgreich umsetzen».
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