Green circular economy concept. Arrow infinity symbol with grass on concrete wall.

«Wir wollen Leute ausbilden, die anders denken»

Ab September 2022 gibt es an der BFH den Master «Circular Innovation and Sustainability». Damit werden Manager*innen ausgebildet, welche die Entwicklung der Kreislaufwirtschaft vorantreiben sollen. Ein Gespräch mit Frédéric Pichelin, Mitglied des Kernteams Master CIS über die Schwerpunkte des Studiengangs und die grosse Bedeutung der Kreislaufwirtschaft.

Herr Pichelin, wie zirkulär leben Sie persönlich?

Als Ingenieur habe ich ein grosses Interesse an elektronischen Geräten. Wenn bei uns zu Hause ein Gerät kaputt ist, repariere ich es selbst, anstatt es wegzuschmeissen. Unsere Gesellschaft hat sich daran gewöhnt, defekte Dinge zu entsorgen und neue zu kaufen. In einer zirkulären Wirtschaft sollten diese jedoch so lange wie möglich im Umlauf bleiben.

Wieso ist die Kreislaufwirtschaft für die Gesellschaft so bedeutend?

Wir nutzen limitierte Ressourcen. Doch nicht nur diese werden knapp, sondern auch die nachwachsenden Rohstoffe. Aufgrund der Coronapandemie kam es zum Beispiel beim Rohmaterial Holz zu Lieferengpässen. Limitierte sowie nachwachsende Rohstoffe sollten deshalb so lange wie möglich im Kreislauf gehalten werden. In einer linearen Wirtschaft wird etwa Holz verbrannt, was CO2 freisetzt. In einer Kreislaufwirtschaft bleibt das Holz möglichst lange erhalten und speichert dadurch das CO2 mittel- bis langfristig.

Wie weit entwickelt ist die Kreislaufwirtschaft in der Schweiz?

Leider nicht sehr weit. Ein Team um meinen Kollegen Tobias Stucki aus dem BFH-Departement Wirtschaft führte zwischen 2017 und 2019 eine Studie durch. Dabei wurden 8000 Schweizer Firmen aus unterschiedlichen Branchen bezüglich Kreislaufwirtschaft befragt. Lediglich 10 Prozent setzten auf zirkuläre Prozesse. Die anderen hatten bis zu diesem Zeitpunkt kaum ökologische Verbesserungen vorgenommen. Das ist ernüchternd. Sehr wenige Firmen sind interessiert daran, dass Rohstoffe möglichst lange wiederverwendet werden. Deshalb ist es wichtig, zukünftige Kaderleute auf diesem Gebiet auszubilden.

Startet die BFH deshalb im September 2022 den Masterstudiengang «Circular Innovation and Sustainability»?

Ja. Es ist unser Ziel, genau solche Manager*innen auszubilden. Unter dem Stichwort «Changemaker» wollen wir Leute ausbilden, die anders denken, bestehende Verhältnisse infrage stellen und die Kreislaufwirtschaft stärken wollen. Der Masterstudiengang ist fächerübergreifend konzipiert. Einerseits vermittelt er betriebswirtschaftliche Kompetenzen. Andererseits erwerben die Studierenden ein technisches und ökologisches Verständnis von Produktionskreisläufen und das Know-how, um mit unseren natürlichen Ressourcen nachhaltig umzugehen. Sie setzen sich in verschiedenen Bereichen mit Themen wie Produktdesign, Energie- und Ernährungssysteme, Unternehmertum oder auch Landnutzung auseinander.

Weshalb ist die Interdisziplinarität so wichtig?

Die Kreislaufwirtschaft ist ein komplexes Thema. Um es zu verstehen und um konkrete Projekte umsetzen zu können, braucht es verschiedene Disziplinen. Die Departemente Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften BFH-HAFL, Wirtschaft BFH-W sowie Architektur, Holz und Bau BFH-AHB bilden das Kernteam des Masterstudiengangs. Zudem habe BFH-Fachleute aus den Bereichen Gesundheit BFH-G, Technik und Informatik BFH-TI, Soziale Arbeit BFH-S und Künste HKB ihr Wissen zu den Themen Kreislaufwirtschaft und Nachhaltigkeit eingebracht. Mit dieser Zusammenarbeit ermöglichen wir den Studierenden ein ganzheitliches Verständnis der Kreislaufwirtschaft. Damit Innovation entstehen kann, müssen verschiedene Disziplinen zusammenkommen.

Wo liegen konkret die Schwerpunkte des Studiengangs?

Wir haben ihn in drei Themenbereiche eingeteilt: Produkt- und Prozessinnovation, zirkuläre Geschäftsmodelle sowie deren Schnittstellen zu Politik und Gesellschaft. Hinzu kommt die Methodik als themenübergreifender Schwerpunkt. Bei Letzterem geht es etwa um die Frage, wie sich Kreislaufwirtschaft bemessen lässt oder wie ein zirkuläres Produkt designt werden kann. Zudem verfolgt jede*r Student*in während der Ausbildung eine eigene Projektidee, aus der am Schluss ein konkretes Geschäftsmodell entstehen kann.

Zum Beispiel?

In der Lebensmittelindustrie gibt es viele Nebenprodukte, die wertvolle Wertstoffe für neue Produkte enthalten. So stellte ein Student der Hochschule der Künste in Bern vor ein paar Jahren aus Kaffeesatz Geschirr her. Damals gab es unseren Master leider noch nicht. Aus einem solchen Projekt kann man eine sehr konkrete Geschäftsidee entwickeln. Genauso wie bei folgendem Beispiel aus der Holzindustrie: Dort wird die Rinde der Bäume meistens verbrannt oder ungenutzt liegen gelassen. An der BFH haben wir ein Verfahren entwickelt, mit dem man Tannine aus der Rinde extrahieren kann. Daraus stellen wir nun Klebstoff für Span- und Sperrholzplatten her.

Für welche Personen ist der neue Masterstudiengang besonders geeignet?

Grundsätzlich für Studierende mit einem Bachelorabschluss in Wirtschaft, Life Science oder Technologie. Doch auch Studierende der Künste oder der Sozialen Arbeit können sich anmelden. Grundvoraussetzung ist wie angesprochen eine innovative Projektidee. In einem persönlichen Gespräch entscheiden wir dann über die Zulassung.

Und wo arbeiten Absolvent*innen nach dem Studium?

Zum Beispiel in der Privat- oder Finanzwirtschaft. Dort ist der Bedarf an Nachhaltigkeitsberater*innen gross. Neben der Privatwirtschaft kommen aber auch Behörden wie das Bundesamt für Umwelt oder nationale oder internationale Nichtregierungsorganisationen als Arbeitsorte infrage. Unsere Absolvent*innen sollen helfen, die Kreislaufwirtschaft voranzutreiben. Sie sollen sich bewusst sein, dass sie einen positiven Beitrag an die Weiterentwicklung der Gesellschaft leisten können – im Beruf und auch im privaten Umfeld.

Infos zum neuen BFH-Master «Circular Innovation and Sustainability»

Prof. Dr. Frédéric Pichelin
Leiter Bereich Forschung, Dienstleistung und Weiterbildung FDW, BFH-AHB